Hebamme Josephine Schröer

Eine Freienohlerin, Frau durch und durch, - mit exquisiten Wahr-Zeichen, Merk-Malen. Ihre erste Qualität: Hebamme: ein außerordentlicher Frauen-Beruf  für unser Menschen-Leben. Ihre zweite Qualität: ihre Stiftung der Josephs-Kapelle, unserer Küppelkapelle, 1902, auch für kirchliches Gemeinde-Leben für trauernde Familien, Ihre dritte Qualität: ihr christlich-politisches Engagement zu Beginn der Nazi-Zeit, 1931, mit ihrer Stiftung des Gemäldes der 3. Station unseres in unserer St. Nikolaus-Kirche einmaligen Heinrich Repke-Kreuzweges.

Für Freienohler*innen ist diese Textfassung eine Ergänzung, Auffüllung, Vervollständigung, Bereicherung  (1.) zum Beitrag in der Zeitschrift „Sauerland“ 4 / 2019 und (2.) im „Jubiläumsfestbuch Freiheit Freienohl – 750 Jahre liebenswertes Freienohl“, 2022, Seite 22 – 24: „Die Küppelkapelle – Ein Baudenkmal mit wechselvoller Geschichte. Dr. Harald Gampe“.                                                                                                                            

Lesetipp: Text von Heinrich Pasternak in Home freienohler.de: „Frau, Frauen in Freienohl“, 2. Kapitel: Hebammen. Und „Friedhofsvisite“: Traufkinder. 

Zum Einfühlen in das Thema: Hebammen

Ein Zitat des englischen Historikers Thomas Carlyle (1795 – 11881): „Männer machen Geschichte!“ Ein Mann hört nur: „Macht. Macht. Geschichte!“  - Eine Frau schmunzelt: „Die Hebamme ist die Heldin des Alltags.“

Schon viel, viel früher: die Hebammen Schifra und Pua. Faszinierend selbständig und politisch engegiert durch und durch. In der Bibel im Alten Testament im Buch Exodus (1,15…). Diese beiden Geburtshelferinnen verweigerten dem Pharao, dem Herrscher, die Gefolgschaft. Er hatte ihnen den Dienstbefehl überbringen lassen: Sie müssen die Söhne der hier in Ägypten lebenden Hebräerinnen, Juden, bei deren Geburt töten. Das verweigern Schifra und Pua. Ihr Grund: „Die hebräischen Frauen sind (…)  kräftige Frauen. Ehe die Hebamme zu ihnen kommt, haben die Mütter schon geboren.“  Mit dieser Zivilcourage schützen die ägyptischen Hebammen das Leben der neugeborenen Israeliten. Vielmehr als cleveres Verhalten.

Dieses Beispiel passt selbstverständlich nicht wortwörtlich zu der Freienohlerin Josephine Schröer. Aber die Lebens-Erfahrung, die passt.

Zum möglichen Einsehen: Daten, Zahlen, Akten, Quellen:                                      Zum Kennenlernen des Berufs, der Arbeit der Hebammen im 18. und 19. Jahrhundert ist bestens geeignet die Arbeit von Frau Ursula Hennecke, Arnsberg, im Stadtarchiv Meschede in Grevenstein, auch in der Rechtschreibung von damals: „...dass Unsere Ertzstifftische Landen mit tüchtigen Hebammen versehen seyen...“

Die Akten des Freienohler Archivs im Stadtarchiv Meschede in Grevenstein: A : 1730, 1731, 1732, 1733, 1739, 1740, 1742, 1745; Trauungsregister, Heirtsregister, Sterberegister, Einwohnerlisten; Amtsblatt Arnsberg durch das 19. Jahrhundert;  Pfarr-Archiv St. Nikolaus Freienohl. – Das Buch: „1753 – 2003 : 250 Jahre  Pfarrkirche St. Nikolaus Freienohl“ von Franz Feldmann, Heinrich Pastenak; Texte, Bilder, Pastoren-Register. – Texte: Heinrich Pasternak: „Zusammenleben Freienohler vor allem im 19. Jahrhundert“: Gaststätten.

Das Lebens-Gefühl und die Lebens-Erfahrung der Hebamme Josephine Schröer werden mitgeprägt haben diese Frühgeburten, diese Tot-Geburten und diese sehr, sehr früh gestorbenen Kinder: Dazu aus der Sterbeliste der Gemeinde Freienohl  von 1901 und 1902 - (dazu gehörten damals: Rumbeck, Oeventrop, Wildshauen, Dinschede, Hasenacker, Lattenberg, Giesmecke, Herblinghausen, Breitenbruch, Brumlingsen) - diese Daten, hier namenlos, auch ohne den Namen der möglichen anderen Hebamme: 1901: 4.4. = 10 Minuten; 22.5. = 15 Minuten; 7.11. = 2 Minuten; 14.12, = 14 Wochen; 21.12. = 7 Wochen; - 1902: 5.1. = 15 Minuten; 23.1. = 15 Minuten; 4.2. = 1 Monat; 6.2. = 3 Wochen; 7.3. = 8 Tage; 7.3. = 9 Tage; 9.3. = 20 Minuten; 9.3. = Pfarrer Julius Falter, LA 61 Jahre; 9.5. = 7 Eochen; 29.5. = 25 Tage; 2.6. = 5 Monate; 4.6. = 7 Monate; 21.6. = 5 Minuten; 10.8. = 15 Minuten; 26.8. = Totgeburt; 24.9. = 3 Wochen; 3.10. = 1 Monat; 9.10. = 10 Monate; 16.1. = 5 Monate; 20.11. = 7 Monate. – Wie viele Sternenkinder, Totgeburten hat die Hebamme erlebt? – Ein Einfall zum Anhören und Mitsingen: „Ich, du, er, sie, - das ist ganz egal, - jeder Mensch ist anders und das ist normal…“ Siehe: Internet: Stiftung Liebenau – Friedrichshafen, Inkluencer Wir. 

Nun aktenkundiges Kennenlernen des Lebenslaufs unserer Hebamme Josephine Schröer und ihrer Familie:

Leider gibt es kein persönlich geschriebenes Tagebuch von ihr. Etwa mit ihren eigenen Gründen, warum sie nicht geheiratet hat, keine eigenen Kinder bekommen hat oder auch nicht haben wollte… Jedenfalls: Negatives über sie ist nicht aktenkundig.

Hebamme Josephine Schröer: : geboren am 16.3.1868 in Freienohl, wohnhaft in Freienohl Am Hügel 5 (alte Hausnummer 221); gestorben am 25.10.1942 in ihrer Wohnung in Freienohl Am Hügel 5, an Altersschwäche, Lebensalter 74 Jahre; angezeigt vom Neffen Caspar Johannes Schröer, wohnhaft bei ihr in Freienohl, Am Hügel 5. 

Zur Familie und den Eltern von Josephine Schröer:                                               Vater Leineweber Caspar Schröer, gest. 19.3.1887, LA 68 Jahre, Sohn der verstorbenen Eheleute  Leineweber Ferdinand  Schröer  und Maria Anna geb. Schmale: angezeigt vom Sohn Zimmermann Joseph Schröer in Freienohl: Mutter Elisabeth Schröer geb. Rickert in Calle, Tochter des in Calle verstorbenen Ehepaars Schröer (so in der Sterbeliste),verstorben am 7.1.1903, Lebensalter 75 Jahre, angezeigt vom Sohn Zimmerer Joseph Schröer (Bruder von Josephine!), wohnhaft in Freienohl, Am Hügel 5. - Leineweber produzieren, weben Stoff, Leinen-Stoff, ein Handwerker-Beruf; Wikipedia weiß mehr und zeigt Bilder.                                                                                

Sohn Franz Schröer, geb. 19.12.1860 in Freienohl, Zimmermann, Heirat am 13.9.18889 (auch 14.9.1889) in Freienohl mit Maria Elisabeth geb. Mertens, geschäftslos, geb. 20.6.1867 in Olpe, Kreis Meschede, Tochter der in Olpe lebenden Eheleute Johann Mertens und Johanna Brüggemann; Franz Schröer gest. 28.12.1938 in Freienohl. 

Tochter Mathilde Schröer: geb. 29.4.1866; gest. 5.12.1869.                              Tochter Josephine Schröer: geb. 16.3.1868; gest. 25.10.1942.                                                                     Tochter Elisabeth Schröer: geb. 11.4.1870, gest. 25.9.1870.                                 Sohn Joseph Schröer, Zimmerer: Heirat am 26.11.1920 mit Maria Schnapp, geschäftslos; Joseph gestorben 25.10.1942:

Der Vorname von Josephine Schröer wird in den Akten unterschiedlich geschrieben: Josephine, Josephina, Josefine. Auch die Tages-Daten sind in den Akten etwas unterschiedlich.

Zum Berufsleben unserer Hebamme Josephine Schröer

Am 1.2.1894 ist Josephine Schröer als Hebammen-Lehrtochter in Paderborn aufgenommen worden. Am 15.2.1894 ist sie zur Ausbildung zugelassen worden. – Mit 26 Jahren. Was sie vorher „gemacht“ hat, ist nicht aktenkundig. Gewohnt hat sie wohl im Internat der Hebammen-Lehranstalt.

Am 25.7.1894 informiert der Landrat in Arnsberg den Amtmann Enser in Freienohl: „Hebamme Josephine Schröer, Freienohl, ledig, hat am 28./29.6.1894 „das Fähigkeitszeugnis zur selbstständigen Ausübung des Hebammengeschäfts erhalten, ihre Approbation.“

Am 25. 7.1894 schreibt Pfarrer Julius Falter in seinem Jahres-Protokoll für den Bischof in Paderborn: „Die Jungfrau Josephine Schröer von hier ist als Bezirks-Hebamme von mir vereidigt und dadurch auch kirchlicherseits in ihr neues Amt eingeführt. Dieselbe hat die Hebammen-Anstalt in Paderborn besucht und bei der Prüfung das Prädikat: „Sehr gut!“ erhalten!“ –  Ein paar Anmerkungen: „Jungfrau“ ist nicht wertend gemeint, heutzutage: ledig, nicht verheiratet. – Pfarrer Julius Falter: geboren 1840 in Delbrück, Studium in Paderborn, Priesterweihe 1868 in Paderborn, danach Vikar in Hagen, 1884 als Hilfsseelsorger versetzt nach Freienohl, „strafversetzt“ aus der Stadt ins Dorf wegen seines politisch kritischen Buches zum Preußischen Kulturkampf, Pfarrer in Freienohl von 1886 bis 1902, gestorben an Lungenkrebs; er hat den Erweiterungsbau (linkes und rechtes Seitenschiff, entsprechendes Mittelschiff und den Altarraum und beide Sakristeien) bauen lassen.

Am 2.8.1894 bittet Josephine Schröer die (politische) Gemeinde-Versammlung, ihr ihre Ausbildungs-Kosten zu erstatten: „Sie befinde sich in sehr dürftigen Verhältnissen; sie muss von ihrem Einkommen ihre Mutter und Schwester teilweise unterstützen.“ Das wird genehmigt, ohne weitere Angaben.

Am 13. Oktober 1894, TOP 1:  Die von der Gemeinde zur Ausbildung der Hebamme Schröer vorgelegten Ausgaben zu 180 Mark sollen von derselben ratenweise zurückerstattet werden, sobald sie als Bezirks-Hebamme fungiert. 

Akten-Lücke. Kein Akten-Befund.

Am 1.9.1900 ist Hebamme Josephine Schröer als Bezirks-Hebamme angestellt. Unterschrieben von Josephine Schröer, Amtmann Köckeritz (auch Köckritz), Vorsteher Kehsler und vorher – am 17.8.1900 – vom Landrat in Arnsberg.

Zur ersten Stiftunng unserer Hebamme Josephine Schröer: zur Josefs-Kapelle, also zur Küppelkapelle im Jahr 1902

Bei dieser Stiftung ist nicht maßgeblich, nicht wichtig, auch nicht aktenkundig im Gemeinde-Protokoll und nicht im Pfarr-Archiv im EBAB (im Erzbischöflichen Archiv Paderborn), die finanzielle Stiftung, sondern wichtig ist die psychosoziale Stiftung der Hebamme Josephine Schröer. Gemeint ist ihre Anstiftung: ihr Engagement in unserer Pfarrgemeinde, ihre berufliche Lebenserfahrung, ihre Motivation, ihr durch und durch christlichen Glauben. Der zeigt sich beim Bezug zum Hl. Josef, zur Arme-Seelen-Vereinigung und Heilig-Blut-Gemeinschaft, damals übliche kirchliche Vereinigungen.

Zum Bau und Gebäude der Küppel-Kapelle ist ausführlich der Text im Jubiläumsbuch 750 Jahre Freiheit Freienohl. Für Nicht-Kenner dieses Jubiläumsbuchs: diese Vorbemerkung: Mit Küppelkapelle ist nicht gemeint eine Musikkapelle, nicht ein Gesangs-Chor und nicht ein Instrumental-Orchester. Gemeint ist bei uns ein kleines Bet-Haus für eine kurze Pause bei der jährlichen Küppel-Prozession. Die beginnt in der St. Nikolaus-Kirche, überquert die Hauptstraße, geht durch die Straße Am Hügel, über die Langelsbrücke auf den unteren Küppelweg. Das Fremdwort aus dem Lateinischen „pro cedere“ heißt auf Deutsch „gehen für, gehen mit“. Damit ist gemeint: gehen für Jesus Christus, gehen mit Jesus Christus in der Gestalt der Eucharistie, der Hostie in der vom Priester getragenen Monstranz. Körperlich nicht immer leicht. -  Zum Verstehen des christlich-politischen Engagements unserer Hebamme Josephine Sschröer jetzt ein historischer Exkurs: 1902: zum Freienohler  Pfarrer Julius Falter: geboren                                                                                                                                                                  im Jahr 1840, gestorben am 9. 3.1902 an Lungenbrand. Nur knapp gefasst aus diesen Quellen: Dr. Manfred Wolf: Freiheit Freienohl, hier Seite 186 – 189; und Texte von H.P.: Zusammenleben Freienohler vor allem im 19. Jahrhundert, Kapitel 8: Gastronomie. Pfarrer Falter schreibt nach Paderborn an den Erzbischof: „Freienohl ist das ärmste Dorf im Kreis.“ Und: „Ihr seid ein aufgeblasenes Gebirgsvolk.“ Und 1894 lässt er auf eigene Kosten bauen das „Vereinshaus“, Haus Hellmann, für die kirchlichen Versammlungen, Vereine (an der Hauptstraße rechts vom Ärztehaus Dr. Breukmann). Eingeweiht 1897. Dieser Treffpunkt gehörte absichtlich nicht zur Gastronomie. Freilich durften Branntwein, alkoholische Getränke ausgeschenkt werden. Insbesondere durften hier auch abends nicht verheiratete Frauen einkehren, die Lehrerin und die Hebamme!  - Auch aufgrund seiner Reise nach Rom und Berlin ist sinnvoll und verständlich sein Buch über den Preußischen Kulturkampf 1880 – 1883; 1900 (im Stadtarchiv Meschede in Grevenstein). – Das erste Zitat klärt, erklärt auch den Namen: Josefs-Kapelle: der Hl. Josef ist der Patron der armen Bevölkerung, der Arbeiter, Handwerker. Und die kannte unsere Hebamme aufgrund ihres eigenen Berufs.   – Eine Ergänzung ist sinnvoll zum Altar zur Prozession, zur Eucharistie-Feier am Platz-Rand. Dieser Altar ist  - sozusagen – ein Drittel vom zunächst viel zu großen Hochaltar unserer St. Nikolaus-Kirche. Den ließ der bescheidene Pfarrer Werner Gerold 1988 verkleinern zu je einem Fuß: für den Hauptaltar, für den Altar im rechten Seitenschiff (zu seiner Zeit für die Dienstag-Abend-Messe) und zur Küppelkapelle. – Der Vorname Joseph kommt häufig vor in der Familie Schröer; siehe Heirats- und Sterbe-Register.

Nun weiter zur Kapelle und  im Leben unserer Hebamme Josephine Schröer – hin zu ihrer zweiten Stiftung:

Protokoll der Gemeinde-Vertretung am 18. Dezember 1902,Tagesordnungspunkt 1:  „In Erwägung, dass die Gemeinde Freienohl einen eng zusammen liegenden Hebammen-Bezirk bildet, in welchem 80 bis 90 Geburten pro Jahr vorkommen, von denen  pro Geburt 6 Mark an die Hebamme entrichtet werden; in weiterer Erwägung, dass die Nebeneinnahmen pro Geburt durch P...geschenk (erste Silbe nicht korrekt lesbar) auf mindestens 2 Mark zu schätzen sind; in fernerer Erwägung, dass die Gemeinde seit Jahr und Tag der Bezirks-Hebamme 45 Mark pro Jahr aus der Gemeindekasse zahlt, zu den Anschaffungskosten der Instrumente sich einen Beitrag von 45 Mark geleistet hat und die Kosten der Nachprüfung vor dem Kreisarzt in Arnsberg mit 6 Mark aus der Gemeindekasse ersetzt werden;  dass endlich seit Jahren die Gemeinde den vollen (unterstrichen!) Beitrag zur Alters- und Invaliden-Kasse zahlt, wurde es abgelehnt, eine weitere Aufbesserung des Hebammen-Einkommens für den hiesigen Bezirk vorzunehmen.“ (A 414) – Kreis-Physikus Dr. Röper in Arnsberg.

Dann von 1952 zu 1902:  Im Pfarr-Archiv (PfA A 5) aus dem Jahr 1952 betreffend Hebamme Josephine Schröer. Ein Brief der Hebamme Josephine Schröer ist überliefert: leider nicht handschriftlich von ihr, sondern 1952 abgeschrieben mit einer alten Schreibmaschine von Pfarrer Theodor Dolle (geb. 1896, Pfarrer in Freienohl 1949-1960, gest. 1965).   Dieser Brief der Hebamme ist eine Art Jubiläumsbrief, geschrieben: 1902. Der Brief-Stil entspricht ganz der Frömmigkeit, Religiösität, Spiritualität ganz schlichter Menschen jener Zeit. Also für Leser heutiger Zeit (2015): dieser Stil ist in seiner Frömmigkeit ganz ernst gemeint. 

Hebamme Josephine Schröer schreibt:

„Meine lieben Wohltäter! Alle, die Ihr Euch wünscht, im letzten Stündlein Eures Lebens einen besonderen Fürsprecher beim lieben Jesuskindlein zu haben, der für uns streiten tut, dass wir den Sieg, worauf wir das ganze Leben gekämpft haben, auch glücklich erlangen, wollet uns beispringen mit einem kleinen Almosen, vielleicht 50 Pfennig oder 1 Mark oder auch mehr zur Erbauung einer Kapelle zur Ehren des heiligen Joseph als den ganz besonderen Schutzpatron der Sterbenden. Diese Kapelle soll nur aus milden Gaben aufgebracht werden und zwar aus dem Grunde, weil ja auch der hl. Josef arm gewesen ist. Ihr wollet Euch deshalb nicht abhalten lassen, dieses Unternehmen zu unterstützen, da es ja nicht allein für Freienohl, sondern für alle diese Josephs-Kapelle erbaut wird, namentlich für die Wohltäter, die uns helfen, dieses schöne und erhabene Unternehmen zu unterstützen durch freiwillig milde Gaben. Es wird also nur aus dieser Veranlassung diese Kapelle erbaut, damit der hl. Joseph, dieser mächtige Helfer, von dem die hl. Theresia von Lisieux, vom Kinde Jesu sagt: Ich erinnere mich nicht, um irgendetwas den hl. Joseph gebeten zu haben, ohne dass er es mir erlangt hätte, uns in allen Nöten Hülfe (damals so richtig geschrieben), besonders aber eine glückliche Sterbestunde erflehen möge, bitte deshalb recht innigst; helft uns. Der hl. Joseph hilft, wenn wir ihn nur recht demütig und bescheiden anrufen, und dieses kann nie besser geschehen und seine Fürbitte nie kräftiger herab ziehen, als wenn wir ihm zu Ehren eine Kapelle erbauen. Und damit wir den Tod des hl. Joseph immer vor Augen haben, so soll auch diese Gruppe in die Kapelle befördert werden, welche am Küppel zu stehen kommt. Zu diesem Zwecke werden zwei Statuen als Prämien: Knabe Jesus und der hl. Joseph verlost, jedes Los kostet 50 Pfennig. Im Namen Josephs bitte ich nochmals, helft uns. - Grüßt freundlichst! gez. Josephine Schröer, Hebamme in Freienohl.

Das war der Brief. Pfarrer Dolle fügt diese Notiz an: „Dann folgen die Wohltäter mit Angabe der gespendeten Summe.“ -  Die Namen und Spenden-Summen liegen nicht vor.  

Auf dem Blatt der Abschrift von Pfarrer Dolle stehen noch diese beiden Kurz-Texte:

Ein Brief an Fräulein  Josephine Schröer (nicht verheiratete Frauen wurden damals  Fräulein genannt): Der Gemeindevorsteher Caspar Kehsler schreibt: „Freienohl, den 1. März 1902. - Auf Ihren Antrag vom 26. Februar, betr. Überlassung eines Bauplatzes für die am Küppel zu erbauende Kapelle, teil ich Ihnen mit, dass die Gemeindevertretung bereit ist, den Bauplatz unentgeltlich herzugeben, vorausgesetzt, dass die neue Kapelle ungefähr auf die Stelle der jetzigen zu stehen kommt, dass der Bau eine Zierde des Prozessionsweges und in jeder Hinsicht (ein) würdiger wird. Ein Beitrag kann ebensowenig in bar als in Abgabe von Holz geleistet werden. - Der Gemeindevorsteher  gez. Kehsler“

Angemerkt ist: „Die Genehmigung des Herrn Oberförsters ist selbstverständlich nachzusuchen. - Genehmigt gez. Preuß. 22. März 1902“.

Pfarrer Dolle schreibt – 1952 - weiter: „Soweit die Abschrift. Die Kapelle ist dann durch milde Gaben erbaut worden. Leider ist der Grund und Boden noch heute nicht – ebenso die Kapelle der Kirchengemeinde – nicht grundbuchlich und katastermäßig umgeschrieben worden. Der Pastor hat keinen Schlüssel. Dieser wurde von dem verstorbenen Hrch. Becker (Heinrich) , dem Vater des heutigen Amtsbürgermeisters, aufbewahrt, der auch für die Kapelle sorgte. Dieser hat den Schlüssel dem Borbeck-Alte Wiese zur Verwahrung übergeben, der sich aber wenig um die Kapelle kümmert.“  (PfA  A5 und A6)

Nun weiter die Fortsetzung aus den Hebammen-Akten.

Für den 27.2.1905 ist für Hebamme Josephine Schröer die übliche Nachprüfung vormittags 10 Uhr in der Wohnung Arnsberg (gewiss auch Praxis) des Kreisarztes Medizinalrat Dr. Röper.

Protokoll der Gemeinde-Versammlung am 16. Oktober 1911, TOP 8:  Für Entbindung von Armen-Wöchnerinnen wurden der Hebamme vom 1.1.1912 ab ein Betrag von 50 Mark jährlich bewilligt.

Am 25.9.1911 und am 16.1.1913 sind Gehaltsregelungen notiert; ohne Angaben der Geld-Beträge.

Auf einer Hebammen-Liste vom 18.12.1912 der umliegenden Gemeinden steht: Bezirks-Hebamme Josephine Schröer.

Aktenkundig sind die Zahlen ihrer vorgenommenen Entbindungen (ohne Namens-Nennung der Kinder): im Jahr 1912: 81 Entbindungen, 1913: 56, 1914: 82.

Gemeinde-Beschluss am 13.6.1913, TOP 5:  Mit der Zeit hat sich mehr und mehr die Notwendigkeit ergeben, eine zweite Hebamme für Freienohl anzustellen. Die Ausbildung einer zweiten Hebamme ist in Aussicht zu nehmen. Vorläufig sind Gesuche um Anstellung als Hebamme einzuziehen. - Für Freienohler Frauen eine attraktive berufliche Tätigkeit!  Es melden sich: Christina Stirnberg, 20 Jahre; Maria Trompetter, 27 Jahre, geb. 11.5.1891, Näherin; Gertrud Lemmer, 26 Jahre; Maria Otto, geb. 18.9.1892; Ehefrau Franz Gerke, geb. 15.8.1880; Franziska Weber, geb. 6.12.1889.

In der Gemeinde-Versammlung am 17.6.1913 berichtet der Gemeinde-Vorsteher: „Hebamme Josephine Schröer ist wegen Krankheit, seit 14.6.1913 in Marburg (Arnsberg? Nicht korrekt lesbar), auf unbekannte Zeit abberufen.“

Höflich ist es, die Freienohler Hebamme Maria Trompetter hier im Text aufzunehmen (auch mal Trumpetter geschrieben):

Gemeinde-Versammlung am 9.7.1913: Maria Trompetter soll vom 1.10.1913 bis 30.6.1914 zur Hebammen-Ausbildung in die Lehr-Anstalt nach Bochum (nicht mehr nach Paderborn) auf Gemeinde-Kosten. - Am 11.7.1913: Maria Trompetter verpflichtet sich, die Arbeitsaufgaben der Hebamme  zu übernehmen. Ihr Vater, Witwer C. Trompetter pflichtet mit seiner Unterschrift seiner Tochter bei. - Gemeinde-Beschluss am 29.7.1913: TOP 1:  Um die ausgeschriebene Hebammen-Stelle haben sich 6 Personen beworben. Einstimmig gewählt wurde die Näherin Maria Trompetter von hier. Diese soll auf Gemeindekosten als Hebamme ausgebildet und beim Kreis ihre demnächstige (darauf folgende) Anstellung als Bezirks-Hebamme nachgesucht werden. Das mit der Trompetter getroffene Abkommen vom 11. d. M. wird genehmigt. - Die anderen 5 Personen sind nicht aktenkundig.- Maria T. mal mit o, mal mit u geschrieben. - Am 1.10.1913: Maria Trompetter ist einberufen in die Lehr-Anstalt Bochum. Am 30.4.1914: die Gemeinde Freienohl ist bereit, wenn notwendig, Nachhilfe-Unterricht zu bezahlen. Was damit inhaltlich gemeint ist, ist nicht aktenkundig. Bekanntmachung in der Gemeinde Freienohl am 1.7.1914: Maria Trumpetter ist als Bezirks-Hebamme angestellt. - Hier erstmalig mit „u“ geschrieben.

Aus ihrem „Personalbogen: Maria Trumpetter“: Familienstand: ledig; Religion: katholisch; geb. 11.5.1891; Prüfungstermin und Zeugnis: 27.6.1914, „gut“; Bestrafungen: keine; Gewerbe-Ausübung in Freienohl seit 1.7.1914; Neben-Erwerb: kein Eintrag; Anstellung: zweite Hebamme der Gemeinde Freienohl mit 2048 Seelen; Geburtszahl durchschnittlich: 80. – „Seelen“: die damals übliche Wortwahl; der Mensch war mehr als sein irdisches, naturwissenschaftlich messbares Dasein.

Protokoll der Gemeinde-Versammlung am 27. Juli 1914 TOP 2:  Die bisher jährlich an die Hebamme Schröer von der Gemeinde für Armen-Entbindungen gezahlte Unterstützung von 50 Mark soll vom 1. Juli d.J. ab an die beiden Hebammen, nämlich Schröer und Trumpetter verteilt werden, sodass jede von dem bezeichneten Tage ab jährlich 25 Mark erhält.

Protokoll der Gemeinde-Versammlung am 4. August 1918: TOP 3:  Die Hebamme Josefine Schröer soll auf ihren Antrag von der Gemeinde-Einkommen-Steuer freigestellt werden.

Liste: Entbindungen in den Jahren: (JS = Josephine Schröer; MT = Maria Trumpetter): 1915: JS: 45, MT: 6. 1916: JS: 33, MT 6. 1917: JS: 31, MT: 3. 1918: JS: 49, MT: 5. - Maria Trumpetter nicht mehr aktenkundig; dafür Ehefrau Alois Vernholz. 1919: JS: 45, Vernholz: 9. 1920: JS 56, V: 1. 1921: JS: 58, V: 2. - Vernholz nicht mehr aktenkundig. 1922: JS 60. 1923: JS 58. 1924: JS 62, davon 2 Totgeburten. 1925: JS: 59. - Ende der Liste.

Die zweite Stiftung unserer Hebamme Josephine Schröer

Exquisit und typisch! Hebamme Josephine Schröer: sie stiftet in der St. Nikolaus-Kirche zum neuen Heinrich-Repke-Kreuzweg, eingeweiht 1931, die 3. Station „Jesus fällt zum ersten Mal unter dem Kreuz“ mit dem gegen die begonnene Nazi-Zeit Fingerzeig auf den Löwenzahn: „Ich bin nicht unter zu kriegen“; so sagte mal ein 10-jähriger Junge bei einer Kirchenführung seiner Schulklasse. - Pfarrer Gerwinn schreibt in seinem Jahres-Protokoll an den Bischof in Paderborn, dass Josephine Schröer die „Bruderschaft vom Hl. Blut“ gegründet hat. Datum und Inhaltliches ist von dieser Gebets-Bruderschaft nicht aktenkundig. -  Bei der Auferstehungs-Ikone von Manfred Mansfeld hat mal ein anderer Junge gesagt: „Der Sarg-Deckel war viel zu klein für Jesus!“

Zum Heinrich Repke-Kreuzweg : Der Künstler und Kirchenmaler (auch in der ganzen St. Nikolaus-Kirche) Heinrich Repke in Wiedenbrück hat diesen Kreuzweg in den Jahren 1929 bis 1933 gemalt, 14  Stationen. Die Anfänge des Nazi-Regimes hat er klar gesehen und durchschaut. Seine Spuren äußerst geschickt gemalt: Klarstellung durch Verstecken für Zeit-Einsichtige, nicht durchschaubar für Regime-Genossen. Als unser Kreuzweg schon längst in unserer Kirche gebetet wurde, hat unsere katholische Kirche 1937 mit Papst Pius XI. an der Spitze mit ihrer Enzyklika „Mit brennender Sorge“, sensationell auf Deutsch bekannt gegeben und nicht wie üblich auf Latein, lauthals Anklage erhoben gegen das Nazi-Regime. 

Auch diese Freienohler Hebamme gehört hierher: Frl. Helene Pöttgen / Tante Lene : Geboren 18.8.1901 in Freienohl. Ledig. Gestorben 1983, bestattet auf dem Freienohler Waldfriedhof, obere Hälfte, erster rechter Seitenweg, mit dem Blick nach Freienohl. - Am 27.9.1932 erfolgte die Einladung für den 3.10.1932 nach Paderborn in die Landes-Frauen-Klinik zur Ausbildung als Hebamme im 18-monatigen Lehrgang. Ab 15.4.1934 als Hebamme in Freienohl tätig, auch noch 1951. Am 14. September 1971 im Protokoll der (politischen) Gemeinde-Vertretung: Zum 70. Geburtstag überreicht unsere Gemeinde der Hebamme Helene Pöttgen das Geld-Geschenk von 200 DM. -  Wohnung: Düringstraße 109 / Brunnenstraße 5: Friedrich Düring gnt. Schmitten, Fabrikarbeiter.

DANKE für ihre und unsere Küppelkapelle!  

DANKE für ihr Hebamme-Sein:  Leben weiter geben. Leben weiter reichen. Leben reich machen. Und bei Totgeburten: mit Frauen-Händen Trauer spenden zum Weiterleben ohne enden. Denn Tod ist der Aufgang in neues Leben.

Erinnern sich Freienohlerinnen, Freienohler daran, dass Tante Fine mitgeholfen hat, dass ihre Mutter, ihr Vater, oder ihre Großeltern oder ihre Urgroßeltern in Freienohl das Licht der Welt erblickt haben?

Heinrich Pasternak, Juli 2022