Brief-Post von Ruth Emmerich-Schnell aus Amerika nach der Nazi-Herrschaft Jahre lang nach Freienohl an Herzens-Freienohler, mit + und – Zeichen für Freienohler Politiker, ein Geschenk von Seppl. Abgeschrieben von H. Pasternak

DANKESCHÖN! Beste Erinnerungs-Kultur! Der exquisit notwendige, Not wendende Anhang zum Haupt-Kapitel: „Unser Zusammenleben mit Freienohler Juden: Keine Pogromnacht, kein Grauer Bus in Freienohl“

Zur Einleitung und Einfühlung ein paar Familie-Daten von Ruth Emmerich aus dem Haupt-Text: „Unser Zusammenleben mit unseren Jüdischen Freienohler Familien im 19. Jahrhundert bis zum traurigen Ende durch das Nazi-Regime: Keine Pogromnacht, kein Grauer Bus in Freienohl“: Dieser Haupt-Text möge zuerst gelesen werden.

Familie Emmerich

Wolf Emmerich (geb. 1803 in Vinsebeck / Bad Pyrmont, gest.1854) verheiratet mit Henriette Eber (geb. 1807 in Neuenkirchen, gest. 18?6 in Steinheim).

Ihr Sohn Alexander Emmerich (geb. 1846 in Vinsebeck, gest. 1933 in Freienohl), verheiratet (1877) mit Jettchen Rosenthal (geb. 1858 in Freienohl als 10. Kind von Leser Rosenthal, Handelsmann, und verheiratet 1845 in Freienohl mit Julie (Julchen) Rotschild; - ihr 1. Kind: Josef Benjamin Rosenthal ist als deutscher Soldat im Krieg gegen Frankreich am 6.8.1870 in Wörth gefallen; auf dem Krieger-Denkmal (ein seltsames Wort!) rechts vom Alten Amtshaus steht sein Name.

Vom Ehepaar Alexander Emmerich und Jettchen Rosenthal ist ihr 5. Kind Alfred Emmerich: geb. 1885 in Freienohl, gestorben 1947 in La PaZ / Bolivien; Heirat mit Irma Schreiber. Sie haben 2 Kinder: 1. Hans-Walter Emmerich: geb. 1934 in Freienohl, gest. 1991 in Saarburg. 2. Ruth Emmerich: geb. 1927 in Freienohl; 1936 „abgemeldet“ nach Arnsberg; Ausgewandert (Wortwahl!) zuerst nach Südamerika, von dort nach Vancouver / Oregon / USA, Heirat mit Sigi Schnell (aus Stettin). (siehe unten)

Nun zur Brief-Post von Ruth Schnell geb. Emmerich

Bausteine für unsere Freienohler Erinnerungs-Kultur:

Beigelegt ist ein wunderschönes buntes Heft über, aus Oregon, 36 Seiten.         Außer den oft genannten Familien-Namen-Emmerich sind genannt diese Freienohler Namen vom Klassen-Jahrgang 1925/27: Toni und Herbert Geißler, Paul Pöttgen, Rtnsz Klauke, Ludi Göckeler. Toni und Herbert Geißler haben 2 Töchter: Ruth (!) und Gisela. Gisela ist verheiratet mit Franz-Josef (Seppl) Reznizak: Gasthaus und Pension „Vier Jahreszeiten“, Freienohl, St. Nikolaus-Straße, früher Mittelstraße.

Portland, den 26. August 1975: eine DIN-A4 Seite Schreibmaschine geschrieben; eingelegt im Couvert „Weihnachten 1979“, ein Einblick in das Leben und Gefühl von Ruth: Wichtig ist beim Lesen dieser Abschrift wahrzunehmen die persönliche Verbundenheit von Ruth mit Freienohl, mit ganz konkreten Menschen in Freienohl, auch während des Nazi-Regimes gegen die Juden.

„Liebe Freunde: Nun bin ich schon wieder fast 14 Tage zuhause und seit über einer Woche bei der Arbeit. Unglaublich, wie schnell die Zeit vergeht. Habe alles hier in bester Ordnung vorgefunden, Sigi und Mutti, sowie unser kleiner Hund (Hauptpersonn im Haus!!!) gesund un munter. Sogar das wetter war herrlich, es ist zwar abends und morgens schon etwas kühl, aber am Tage gerade richtig, warm, aber nicht heiß. Habe natürlich eine Menge Arbeit im Büro vorgefunden, aber das ist ja leider immer so, wenn man wegfährt, das Nötigste wird gemacht, aber alles andere bleibt liegen. Kann aber nicht klagen, habe aber interessante Arbeit und mehr wie nette Mitarbeiter. – Nun möchte ich mich nochmal vor allen Dingen beu Euch, Toni und Herbert, bedanken für die wunderbare Aufnahme, die ich bei Euch fand. Ich habe mich so wohl bei Euch gefühlt und wäre am liebsten noch viel länger geblieben. Es war richtig gemütlich, so wie man es in den großen Städten gar nicht findet. Hoffe nur, dass ich mich eines Tages hier revangieren kann, indem wir Euch als Gäste bei uns haben. Tut Euch mit Pöttgens und mit Winterhoffs zusammen und kommt her, wir würden uns schrecklich freuen. – Anbei sende ich Euch ein kleines Büchlein mit Bildern von unserer Stadt Oregon, aus dem Ihr ersehen könnt, dass es landschaftlich auch bei uns sehr schön ist. Den Berg „Mount Hood“ sehen wir von unserem Haus aus, er ist uns direkt gegenüber, vielleicht 50 Kilometer entfernt, aber scheint manchmal zum Greifen nah. Am schönsten sieht er morgens aus, wenn die Sonne hinter dem Berg aufgeht, und auch am Abend, wenn sie untergeht. Auch haben wir die Aussicht auf unseren Fluss, den „Willamette“, den Arm des gewaltigen „Columbia“. – (Der Abschreiber sieht unseren Küppel vor sich und hört die Ruhr..) – Portland ist, wie Ihr vielleicht wisst, ein Hafen; wir exportieren viel Holz, Weizen, Gras, Samen, frisches Obst (Äpfel und Birnen) und Obst und Gemüse in Büchsen. Auch viel Maschinen, Kleidung und Chemikalien. Ich arbeite bei einer Schifffahrts-Gesellschaft. Wir haben nur Frachter und wir verschiffen nach überall in der Welt. - Die Oregon-Küste ist fantastisch schön, man kann von einem Ende Oregons zum anderen die ganze Küste entlangfahren, d.h. also von Portland, nördlich, bis zur Californischen Grenze, südlich. Es ist abwechselnd Wald, hohe Felsen und Strand. Auch unsere Wäder sind wunderschön, nur haben wir leider kaum Laubwälder, die ich besonders liebe, sondern meistens Tannenwälder, wie Ihr aus verschiedenen Bildern ersehen könnt. Portland selbst ist von Grün umgeben und wir haben viele herrliche Parks, einen idyllisch gelegenen Zoo, gutes Museum und eben alles, was zu einer mittelgroßen Stadt (400.000 Einwohner) dazu gehört. Im Herbst und Winter haben wir ein ausgezeichnetes Symphonie-Orchester und ein Opern-Ensemble, wobei die Hauptrollen von Stars der Metropolitan in New York oder von Europa besetzt werden, während die kleineren Rollen, Chor, Tänze etc. von hiesigen übernommen werden. Wir haben schon sehr viele gute Konzerte und Opern-Vorstellungen gehört und gesehen. – Jetzt habe ich Euch mal ein bisschen Einblick in unser Leben hier gegeben und hoffe, es Euch so schmackhaft gemacht zu haben, dass Ihr aufs nächste Flugzeug steigt und vergnügt hier angeflogen kommt... Grüßt bitte alle Schulkameraden und Kameradinnen von mir, besonders herzlich Pöttgens Paul, Winterhoffs und eben alle, die ich kenne. Ich würde mich besonders freuen, einmal von Euch allen zu hören. Hier ist meine Adresse: Ruth Schnell - 1080 S.W. Westwood Drive – Portland, Oregon 97201 – U.S.A.   - Nochmals tausend Dank und vielleicht bis bald??? – Herzlichste Grüße auch von Mutti und Sigi – Eure – handschriftlich – Ruth - p.s. Entschuldigt bitte die vielen Fehler, mein Deutsch-Schreiben ist nicht mehr so gut, wie es sein sollte.“

Im Couvert: Portland, Oregon, 13. Oktober 1979

Eine DIN-A4 Seite, Schreibmaschine geschrieben, auf der Rückseite 12 Zeilen handgeschrieben, beide von Ruth Schnell-Emmerich:.

„Liebe Toni, lieber Herbert, entschuldigt bitte, dass wir noch nicht geschrieben haben, aber wie Ihr ja selbst wisst, rennt die Zeit uns so davon, besonders wenn man arbeitet. – Wir sind vor 3 Wochen gut wieder zuhause angekommen und haben uns schnell wieder eingewöhnt. Fanden alles in bester Ordnung vor; das Wetter war und ist noch herrlich. Die Arbeit schmeckt wieder und man ist doch immer wieder froh, wenn man nach Hause kommt, so schön auch das Reisen ist. In Israel hatten wir noch eine schöne Zeit mit allen Verwandten. Aber es war für unsere Begriffe sehr heiß und was ja noch schlimmer ist: feucht. Daher waren wir ein bisschen phlegmatisch und waren einfach nicht fähig, alles zu tun, was wir wollten. Hauptsache war ja, daß wir alle unsere Lieben dort gesehen haben.. – Mein Bruder (Hans-Walter Emmerich) ist inzwischen in Quito, Ecuador, um schon mal etwas vor zu arbeiten. Im November nehmen sie 4 Wochen Ferien und dann zieht er nach dort, seine Frau Marianne und Sohn Peter kommen im April, wenn Peter sein Abitur gemacht hat, nach. Ich weiß nicht, ob ich Euch überhaupt erzählte, dass die Firma ihn nach dort versetzte und zwar als Manager für alle nordischen Länder Süd-Amerikas, d.h. Ecuador, Columbien, Bolivien etc. Nachdem sie ja Jahre lang in Bolivien gelebt haben und er die Sprache natürlich perfekt spricht und eben Land und Menschen in Südamerika gut kennt, ist es das Gegebene für ihn. Wir freuen uns schon darauf, sie nächstes Jahr dort zu besuchen. Für mich ist ja Südamerika auch so quasi eine zweite Heimat. – Für die Weihnachtsfeiertage haben wir schon Flug und Zimmer reserviert in Lake Tahobe. Das ist ein großer See inmitten herrlicher schneebedeckter Berge, ungefähr 6.200 Fuß hoch (ich glaube, umgerechnet sind das ca. 2.400 Meter??) in der Sierra Nevada Kette. Der See liegt halb in Nevada, wo herrliche Casinos sind und halb in Californien, wo das Spielen nicht erlaubt ist, aber viel Wintersport getrieben wird. Man könnte auch hinfahren. Es sind un gefähr 650 Meilen von uns (1000 Kilometer), aber nachdem wir nur 4 Tage habe, wollen wir lieber fliegen. Da ist man in 1 ½ Stunden dort. Wahrscheinlich kommt meine Cousine aus Los Angeles auch hin (Hilda Herz geb. Funke aus Arnsberg). Ihre Mutter war die Schwester meines Vaters; manche von den älteren Freienohlern kennen sie bestimmt. Sie ist 1938 mit ihrem Mann ausgewandert. Er ist leider vor 4 Jahren gestorben. - Und nun möchten wir Euch vor allen Dingen nochmals allerherzlichst danken für alles, was Ihr für uns getan habt während der Tage in Freienohl. Es war wirklich äußerst großzügig, dssß Ihr uns Euer Auto geliehen habt. Das gibt es bestimmt nicht sehr oft und dass Du, lieber Herbert, uns dann n och nach Frankfurt gebracht hast. . Dafür können wir Dir nicht genug danken. Ihr wart wirklich mehr wie lieb zu uns. Verwandte könnten nicht besser sein. Wir hoffen nur, dass wir uns eines Tages bei Euch revangieren können und dass Ihr uns hier besuchen werdet. Ihr habt ein Zimmer in unserem Haus, und ich glaube bestimmt, dass es Euch hier gefallen würde. Also, macht mal Pläne für die WESTKÜSTE von Amerika. - Grüßt alle Bekannten dort. Es war schön, alle mal wieder zu sehen. Euch alles Gute wünschend bin ich mit herzlichen Grüßen und nochmal tausend Dank für alles : Eure Ruth

Dann steht unten am Seitenende: Bitte wenden! – Es folgen 11 Zeilen Hand geschrieben:

„Liebe Toni und lieber Herbert! Alles kommt nun wieder langsam ins alte Geleise (Gleis), mal trotz allem, was man gesehen und erlebt hat, ist es zuhause noch am schönsten. Das wisst Ihr sicher selbst. – Trotzdem ich nicht Skat spielen konnte, war Freienohl für mich doch ein Erlebnis, wie schon einmal zuvor wie im Jahre 1973. Ruth ist dort geboren, hat ihre Schulzeit dort verbracht mit Eurer Hilfe. Nochmals besten Dank für alles, vor allem die Fahrt nach Frankfurt. Alles Gute und Gesundheit sagen zum Neuen Jahr wünscht Euch Beiden Euer Sigi.“

Im Couvert: Weihnachten 1979

Eine bunte Winter-Landschafts-Karte: 3 Seiten handgeschrieben. – Bitte nicht über die „Deutschfehler“ stolpern; seit 40 Jahren in Amerika. - ...(?) = nicht korrekt lesbar: Wort, Wörter.

„Liebe Toni + Herbert! Für die Feiertage und das Neue Jahr senden wir Euch unsere besten Wünsche, besonders Gesundheit für Euch und Eure Familie. Wir hoffen, bei Euch ist alles in bester Ordnung. Bei uns hat sich nichts geändert. Sigi geht es mal so, mal so. Mit seinem Humor und Unternehmungslust kommen wir schon durch. Mit dem Buch etc., das Klemens (?) mir schickte, habe ich mich sehr gefreut. Ich blättere oft darin rum und finde immer wieder Bekannte und Bekanntes. Er schrieb von dem Klassentreffen nächstes Jahr, aber nicht das Datum. Vielleicht kann er oder Du mir kurz schreiben, wann es ist. Zwar weiß ich nicht, ob wir kommen können. Es kommt auf Sigi an. Aber man weiß ja nie. Meinen geliebten Bruder vermisse ich so sehr. Es war so ein inniges Verhältnis. Wir sprachen uns oft, dass ich seine liebe Stimme nie mehr hören soll, geht mir nicht in den Kopf. Aber ich weiß, mit der Zeit wird es leichter. Hatten nie ...(?) Treffen hier, im August, im Frühjahr kommt der Mann meiner Nichte mit 13-jährigem Sohn, etwas später meine Schwägerin Marianne, die ein besonders lieber, intelligenter Mensch ist. Sie ist sehr tapfer. Es ist schön, liebe Familie um sich zu haben. Wir sind mitten im Winter, viel Schnee auf den Bergen um uns herum, aber nicht in der City. Es ist sehr kalt. Das macht uns aber nichts aus. Grüße mir bitte die Bekannten. Euch nochmals alles Gute und viele Grüße. Eure Ruth und Sigi.“

Im Couvert 1981

Eine Hand geschriebene Doppel-Karte mit einer Winter-Zeichnung, wohl für Weihnachten; im Text kein Datum; Post-Stempel wohl 1981.

„Liebe Toni, lieber Herbert – haben lange nichts von Euch gehört, hoffen aber, dass alles in bester Ordnung ist. Wir wünschen Euch und allen in der Familie schöne Feiertage und ein glückliches gesundes Neue Jahr. Bei uns hat sich nichts verändert. Wir arbeiten, haben einen netten Freundeskreis und genießen die schöne Natur um uns herum. Wann kommt Ihr mal uns besuchen? Ihr seid herzlichst eingeladen bei uns zu wohnen! Wir haben keine Pläne für dieses Jahr. Mal sehen, wo wir unsere Ferien verbringen. Im Sommer erwarten wir Sigis Cousinen. Eine lebt in Israel, die andere in Chile. Die zweite Tochter von Hans (Walter Emmerich), Erika, die in Israel lebt, war für eine Woche bei uns. Die Familie ist über die ganze Welt verstreut. – Grüßt bitte alle Bekannten, für alle unsere besten Wünsche. Euch Beiden besonders herzliche Grüße und alles, alles Gute! Eure Ruth und Sigi“

Im Couvert für Weihnachten 1982

Eine Doppel-Karte mit Winterlandschaft, handgeschrieben 15 Zeilen:

„Liebe Freunde, wir haben lange nichts von Freienohl gehört, hoffen jedoch, dass bei Euch und allen anderen alles in bester Ordnung ist. Bei uns hat sich nichts geändert, G.s.D. (Gott sei Dank) sind wir gesund, wir arbeiten und sind zufrieden. Vielleicht führt uns der Weg im Frühjahr 1983 nach Freienohl. Wir wollen uns mit allen Verwandten in Israel treffen und dann eventuell auch etwas Zeit in Deutschland verbringen, Aber das ist noch eine Weite hin. – Wir wünschen Euch allen ein frohes Weihnachtsfest und viel Glück und Gesundheit im Neuen Jahr. Grüßt alle dort. Ich habe nicht die Adressen von dem meisten. – Euch und Eurer Familie alles Gute und herzlichste Grüße! Eure Ruth und Sigi“

Im Couvert 1985

Eine „Winterbild“-Doppelkarte mit einem Grußwort und ein zweiseitiger (DIN-A5) Schreibmaschine geschriebener Brief.

Das Gruß-Wort zu Weihnachten 1985: „Alles Beste für Euch und Eure Familie, Eure Ruth + Sigi“.

Der Brief: „Portland, Or., 14. Dezember 1985 – Mit Euren lieben Zeilen haben wir uns sehr gefreut, besonders zu hören, dass Ihr und Eure Familie gesund und zufrieden seid. Dass Eure Tochter mit im Geschäft ist, muss ja für Euch eine große Hilfe sein imd brauchst Du. Liebe Toni, nicht mehr so lange Stunden zu arbeiten. Wir hatten schon lange nichts mehr von Freienohl gehört und freuen uns daher doppelt mit Eurem Brief. – Von uns ist an Neuem zu berichten, dass ich seit August ohne Arbeit bin, unser Office, wo ich viele Jahre lang arbeitete, wurde von 10 auf 3 Angestellte reduziert. Nachdem ich eine anständige Abfindung bekam, suche ich gar nicht allzu eifrig nach einem neuen Job. (68 Jahre alt) Hatte schon davon gesprochen, mich Ende dieses Jahres zurückzuziehen. Ob ich es getan hätte, weiß ich nicht. Aber nachdem es nun so kam, habe ich vor, zum ersten Mal in meinem Leben meine Freizeit zu genießen. Ich arbeite seit meinem 12. Lebensjahr, fing sofort an, als wir im Oktober 1939 nach Bolivien kamen, auch mein Bruder, also ich glaube, ich habe es verdient. Sigi ist auch sehr dagegen, dass ich wieder arbeite. Es gibt da Chancen, mit Deutsch und Spanisch stundenweise zu lehren und zu übersetzen. Das wäre vielleicht ganz interessant. Na, mal sehen. Sigi, der 63 ist, arbeitet fleißig weiter. Das Geschäft ist gut und er hat keine Absicht, sich zurück zu ziehen. Es macht ihm noch zu viel Spaß. Er ist ja ein Exreovert, ist gern mit Menschen zusammen und hat in den Jahren viele nette Freundschaften geschlossen. Außerdem hat er sein großes Hobby: Marken sammeln (Briefmarken), in anderen Worten: er ist zufrieden. – Wir haben hier einen frühen und sehr kalten Winter, seit Mitte November Schnee, Eis; im Moment ist zwar kein Schnee, aber die Temperatur geht schon Wochen lang nicht über den Gefrierpunkt in der Nacht. Nachdem wir in einem sehr waldigen Teil der Stadt wohnen, bekommen wir jeden Abend Besuch von ein paar Waschbären, Mutter über 4 Kinder; manchmal kommen sie alle, manchmal eins. – Entschuldigt, dass ich nicht mit der Hand schreibe, ich brach mir vorigen Winter auf Eis das rechte Handgelenk und wird die Hand schnell müde. – Hoffe, bald wieder von Euch zu hören. An alle Bekannten viele Grüße und gute Wünsche. – Die Rückseite: - Wir haben eine große Veranda im zweiten Stockwerk, gleich daneben ist ein Baum. An dem klettern sie rauf (die Waschbären) und essen und trinken, was wir ihnen rausstellen. Wenn wir mal noch nichts rausgestellt haben, kommen sie an die Glastür zum Livingroom und gucken rein, als wenn sie sagen wollten, wo ist unsere Mahlzeit? Sie sind zu süß. Außerdem haben wir Eichhörnchen, die zusammen mit den Vögelchen vom Vogelfutter essen. Die Tierwelt macht uns viel Spaß und Sigi und ich sind uns sehr einig in unserer Liebe zu den Tieren. – Mein Bruder und Schwägerin sind ja nun wieder in Köln nach 5 Jahren in Ecuador. Dadurch sind sie wenigstens in der Nähe ihrer Kinder. Die ältere Tochter, Irene, lebt mit ihrem Mann (ein Arzt) in Saarburg, hat 3 Kinder. Die zweite Tochter, Erika, in Israel, Tel Aviv, auch verheiratet und hat einen kleinen Jungen, und ihr Sohn, Peter, der in der Schweiz 4 Jahre lang eine Hotel-Schule besucht hat, lebt in Frankfurt, ist dort an einem Hotel Gravensbruch tätig, scheinbar ein sehr schönes Hotel den Bildern nach, die er uns schickte. Kennt Ihr es? Es gehört zu den Kampinski-Hotels. Alle Kinderchen sind sehr gut geraten, haben viel Liebe und Wärme für sllr in der Familie. Übrigens warn Hans und Marianne im Sommer in Freienohl zu einem Klassentreffen. Vielleicht habt Ihr sie gesprochen? – Toni, könntest Du mir einen Gefallen tun und mir die Adresse von Margot Winterhoff schicken? Oh, ich sehe gerade in mein Buch, dass ich sie habe. Inzwischen grüße sie bitte herzlich von mir, auch Paul Pöttgen und Familie und wünsche ihnen allen ein schönes Weihnachtsfest und ein gesundes Neues Jahr. - Euch Beiden senden wir unsere besten Wünsche und hoffen, dass Euch das Jahr 1986 nur das Beste bringt. Wir wissen noch nicht, ob wir 1986 oder 1987 nach drüben kommen. Wie wäre es, wenn Ihr uns hier besuchtet? Wir haben ein schönes Zimmer für Euch und würden Euch gerne unsere vielen Schönheiten zeigen. Oregon ist herrlich schön und würde Euch bestimmt gefallen. Das Leben ist gemütlich und die Menschen kolossal freundlich, nicht wie in New York! Also plant mal was und meldet Euch an. Wir würden uns riesig freuen. – In der Doppel-Bild-Karte steht dann der Abschiedsgruß, s.o.

Im Couvert: 17. Februar 1987

Ein doppelseitiger Schreibm aschine geschriebener Brief DINA-5.

„Portland, 17. Februar 1987. - Liebe Toni, lieber Herbert, entschuldigt bitte, dass ich Eure lieben Zeilen von Mitte Januar erst heute beantworte. Ich habe mich ganz besonders mit Euren Glückwünschen zu meinem 60. Geburtstag gefreut. Und bin erstaunt, dass Ihr das Datum wisst. Wie ich aus Eurem Brief ersehe, seid Ihr gesund und alles ist in bester Ordnung, was ich leider von uns nicht berichten kann. Mein geliebter Sigi ist seit Anfang vorigen Jahres krank, und zwar hat er Krebs, allerdings G.s.D., eine Art, die in vielen Fällen geheilt werden kann. Es nennt sich „Hodgkin´s desease“. Er hat Radium-Bestrahlungen und Chemotherapie bekommen, beides sehr unangenehm und es ist im Moment in Remission, aber er hat sehr unangenehme Nebenerscheinungen, kann nicht gut gehen, ist oft schwindelig und die Sprache ist nicht ganz normal, fast als hätte er einen leichten Schlaganfall gehabt, aber das ist nicht der Fall. Wir haben gute Ärzte, privat, sowohl als auch bei der Universität hier, die sind wiederum in Verbindung mit dem bekannten Sloan-Kettering Institut in New York. Wir hoffen eben auf Hilfe, aber inzwischen ist es eine schwere Zeit. G.s.D. (Gott sei Dank ?) haben wir viele gute Freunde und Verwandte, die uns zur Seite stehen, das hilft sehr. Wir hatten uns schon so darauf gefreut, dass wir bald aufhören können mit Arbeiten, d.h. ich arbeite schon seit August 1985 nicht mehr. Da das Schifffahrts-Büro, in dem ich lange Jahre arbeitete, geschlossen wurde. Sigi wollte im Oktober dieses Jahres aufhören. Da er dann 65 wird. Aber leider kam es ganz anders und er ist nun schon seit 10 Monaten zuhause. Wir wären sonst bestimmt fieses Jahr nach Deutschland gekommen. Mein Bruder und Schwägerin sind ja nun für immer zurück aus Südamerika, eine Nichte mit Mann und 3 Kindern lebt lebt in Saarburg, wo er als Arzt am Hospital tätig ist. Mein Neffe ist bei Kampinski (Hotel) in Frankfurt. Eine andere Nichte lebt ja schon seit vielen Jahren in Tel Aviv, auch verheiratet, mit einem Kind. Ob Hans-Walter (Emmerich, Jg. 1934) in Köln bleiben wird, weiß er noch nicht. Er sagte mir am Telefon gestern, dass es ihn sehr nach dem Süden Spaniens zieht. Er fährt für ein paar Tage mit einem Freund und die ein Haus in Teneriffa haben, dort hin, nur mal sehen, was eine Wohnung dort kosten würde. Ja, wenn man älter wird, sucht man Sonne und Wärme. Hier gehen die Leute nach Kalifornien, Arizona oder Florida. Uns gefallen im Moment die vier Jahreszeiten noch sehr gut. Wir hatten einen ungewöhnlich milden Winter. Alles fängt schon an zu blühen, nicht, dass wir etwas dagegen haben. Wenn wir auch nicht viel rausgehen können, liegt unser Haus so, dass wir trotzdem die Natur genießen können. Wir sind so richtig im Grünen mit herrlicher Aussicht auf die Berge. Das ist ein Glück. Wir genießen den Schnee von weitem! – Ja, wie gerne würde ich mit Sigi zum Jahrestreffen nach Freienohl kommen, aber ich glaube kaum, dass es möglich sein wird. Vielleicht könntet Ihr mir das Datum schreiben, man weiß ja nie, vielleicht geht es Sigi bis dahin so gut, dass wir eine Reise machen können. Über die Karte vom Schuljahrgang 1925/27 habe ich mich riesig gefreut, besonders mit den 15 Unterschriften. Es ist schön, weiter den Kontakt aufrecht zu erhalten, denn die Erinnerungen der Kinderzeit sind doch schön und können trotz späteren schlimmen Erfahrungen nicht ausradiert werden. Ich weiß nicht, wer die Karte abgeschickt hat und die ganzen Unterschriften gesammelt hat, würdest Du, liebe Toni, Dich für mich dafür bedanken? Auch gratuliere ich Paul nachträglich allerherzlichst, sicher habt Ihr schön und gemütlich gefeiert. – Ich wünsche Euch beiden, sowie allen alten Freunden und Bekannten alles Beste und danke nochmals herzlichst für die lieben Geburtstagsgrüße, die mir diesmal besonders gutgetan haben. Ich gratuliere allen, die den 60. feiern aufs Herzlichste. Euch beiden viele liebe Grüße auch von Sigi, Eure – handschriftlich: - Ruth – P.s.: Ich glaube, mein Deutsch wird immer schlechter, Bitte um Entschuldigung. - Der Abschreiber brauchte nur Rechtschreibung zu korrigieren.

Im Couvert: 17. Dezember 1987

Eine bunte Weihnachts-Postkarte: eine Schnee-Landschaft, ein Paar auf einer Kutsche, gezogen von einem Schimmel: „Home for the Holidays – may every happiness be yours this Holiday-Season“. – Eine Karten-Seite handgeschrieben:

„Liebe Toni, lieber Herbert! Zum Weihnachtsfest und für das Neue Jahr senden wir Euch unsere allerbesten Wünsche für Gesundheit und viel Freude! Wir hoffen, Ihr seid gesund und alles ist in bester Ordnung in der Familie. – Wir haben eine schwere Zeit hinter uns. Mein lieber Sigi war sehr krank und hat viel durchgemacht. Im Moment ist er „Status quo“ und wir können unsere Tage einigermaßen normal verbringen. Ob und wann wir nach Deutschland zurückkommen – (!) - , ist eine große Frage. Aber wir hoffen, eines Tages doch noch mal nach Freienohl zu kommen. Wie war das Klassentreffen oder vielmehr die 60-Jahre-Feier? Gibt es vielleicht ein Bild? Wie geht es allen Klassenkameraden? Bitte, grüßt besonders Matgot und Paul! Ich würde mich freuen, einmal wieder von Euch zu hören. – Wir haben im Moment Schnee und es sieht wunderschön aus. Nochmals alles Gute und viele Grüße an alle anderen Freunde und Bekannten! Herzlichst Eure Ruth + Sigi“ (Sigi persönlich unterschrieben)

Im Couvert: Portland, Oregon, 13. Dezember 1988

Ein Schreibmaschine geschrieber Brief, 2 DIN A5 Seiten.

„Liebe Toni, lieber Herbert, mit Deinen lieben Zeilen, liebe Toni, haben (wir) uns besonders gefreut. Es ist wirklich schön, dass Ihr noch an uns denkt. Auch das Bild (wohl: Foto) hat mir eine große Freude gemacht und ich erkenne auch Verschiedene darauf, aber auch eine Menge nicht. Darf ich es Dir daher zurückschicken und könntest Du vielleicht die Namen auf die Rückseite schreiben. Hoffentlich macht es Dir nicht zu viel Mühe. Aber ich hoffe, Du verstehst, dass ich nach all den Jahren manche nicht erkennen kann. Jedenfalls sehen alle sehr gut aus, die Zwillinge Agnes und ???, Pöttgens Paul, Althaus Margot, KLauken ???, Beckers ??? Du siehst, bei manchen weiß ich die Vornamen, bei manchen nur die Nachnamen. Freue mich für Margot, dass sie wieder geheiratet hat, es ist bestimmt besser, als allein zu sein. Hoffentlich hat sie einen netten Mann. Dass Du, lieber Herbert, auch nicht in Ordnung bist, tut uns sehr leid, aber so lange es mit Medizin noch einigermaßen geht, muss man zufrieden sein. Ja. Wenn man älter wird, stellt sich alles Mögliche ein und man muss es nehmen, wie es kommt. Hier sagt man „One day at a time“, und das nehmen wir uns zu Herzen. Wir verleben jeden Tag so angenehm und gut, wie nur möglich und machen es uns so schön und gemütlich, wie nur möglich. Wir haben viele gute treue Freunde, die um uns herum sind. Das erleichtert einem alles. Sigis Gesundheitszustand hat sich nicht verändert, es ist nicht besser, aber auch nicht schlechter geworden und dafür sind wir dankbar. Wusstet Ihr, dass wir im August in Arnsberg waren? Die Stadt hatte die früheren jüdischen Bürger eingeladen und es war ein wunderbares Wiedersehen mit allen, die sich als Kinder kannten. Von der älteren Generation lebt ja niemand mehr außer meiner Cousine Hilde Herz geb. Funke, die auch kam. Verschiedene kamen aus Israel, ein Ehepaar aus Brasilien und mehrere aus den Städten. Es war ein einmaliges Erlebnis, das wir nicht bald vergessen werden. Nachdem wir ja 1936 aus Freienohl flüchten mussten, ging ich eine Weile in Arnsberg in die Schule, bis ich nach Coburg ins Internat kam. Es meldeten sich viele Klassenkameradinnen und es war ein freudiges Wiedersehen. Ich muss sagen, es wäre schön gewesen, wenn Freienohl sich in irgendeiner Weise erkenntlich gezeigt hätte, dass es ihnen leidtut, was damals geschah, dass die Familie Emmerich, die so mit Land und Leute verwachsen war, bei Nacht und Nebel flüchten musste etc.; ich habe einmal vor langen Jahren ein hübsches Album mit Bildern bekommen, sehr schön zusammengesetzt, aber erst nachdem meine Mutti dort gewesen war und um ein paar Bilder für mich bat, aber kein Wort, dass sie bedauern, was geschah. Ein einfacher Brief mit ein paar ehrlich gemeinten Worten hätte genügt. Ihr versteht, dies hat nichts zu tun mit persönlichen Verbindungen wie mit Euch, ich spreche jetzt von offizieller Stelle. Es tut einem weh zu denken, dass die ganzen Jahre die Emmerichs so eng mit den Menschen verbunden waren, sozusagen vom Winde verweht sind und kein Hahn und kein Huhn nach meinen Großeltern und Eltern, die so viel Gutes für das Dorf getan haben, kräht. Entschuldigt, dass ich ausgerechnet Euch, die Ihr so lieb zu uns wart, darüber schreibe. Es hat nichts (im Original auch unterstrichen) mit Euch zu tun. Aber manchmal muss man sich das Herz ausschütten und ich weiß, Ihr könnt es verstehen. Arnsberg hat sich kolossal angestrengt, mehr hätte keiner für uns tun können. Wir sind wirklich mit einem guten Gefühl wieder fortgefahren. Wir sind hundertprozentig überzeugt, dass alle, die damit zu tun hatten, es ehrlich meinten. – So, liebe Toni, lieber Herbert, nun möchte ich Euch von uns beiden die besten Wünsche für ein schönes Weihnachtsfest und ein gesundes, - soweit das möglich ist -, und glückliches Neues Jahr senden. Wir hoffen, Ihr habt noch viele schöne Jahre zusammen und viel Freude an Kindern und Enkeln. Nach Eurem Briefpapier habt Ihr Euch scheinbar vergrößert? Bitte, grüßt alle, die nach uns fragen, besonders Margot, Paul, die Zwillinge etc. Hoffe, bald wieder von Euch zu hören und nochmal vielen herzlichen Dank für Brief und Bild. Herzlichst - handschriftlich – Eure Ruth und Sigi – Entschuldigt mein schlechtes Deutsch. Leider wird es immer schlechter, statt besser.

Couvert mit doppelseitiger Postkarte mit Weihnachtsbaum-Bild mit Eindruck: 1989

„Liebe Toni, lieber Herbert, wir haben lange nichts von Euch gehört, hoffen aber, dass der Grund dafür nur Zeitmangel ist und nicht etwa Krankheit oder anderes Unangenehmes. Wir hoffen Euch wohlauf und wünschen Glück und Eurer Familie ein schönes Weihnachtsfest und ein glückliches gesundes Neues Jahr! Von uns ist nichts Neues zu berichten. Sigis Zustand hat sich zwar nicht verbessert, aber auch nicht verschlimmert, dafür sind wir dankbar. Wir machen auch das Leben gemütlich und genießen die schöne Natur um uns herum. Fahren zu Konzerten, Kino, Essen.Haben Besuch oder besuchen Freunde. So vergehen die Tage. Mein Sigi ist recht beschäftigt mit seinen Marken (Briefmarken), er ist schon lange ein begeisterter Sammler. Ich beschäftige mich ab und zu mit Übersetzungen. Mit herzlichen Grüßen: Ruth + Sigi – p.s.ich hatte Dich gebeten, mir das Klassenbild bitte mit Namen zurück zu senden, wäre das möglich? Ich hatte mich so damit gefreut, wusste aber nicht mehr, wer alle waren. Vielen Dank im Voraus.“ – Die in der Karte ausgedruckten Weihnachts- und Neujahrs-Wünsche auf Englisch sind nicht mit abgeschrieben.

Couvert mit Brief vom 13. März 1990

Der Text ist Schreibmaschine geschrieben; Portland, 13. März 1990.

„Liebe Toni, lieber Herbert, für Eure lieben Zeilen vom 27. Februar herzlichen Dank. Es freut mich zu wissen, dass Euer langes Schweigen auf viel Arbeit und dadurch wenig Zeit zurückzuführen ist – hatte schon geglaubt, es stimmte etwa gesundheitlich etwas nicht. Irgendetwas hat ja fast jeder, aber solange man damit einigermaßen leben kann, darf man nicht klagen. Jünger werden wir leider alle nicht und man muss versuchen, das Leben, so gut man kann, genießen. – Was das Klassenbild anbelangt, mache Dir bitte keine Gedanken. Es ist sehr lieb von Dir, dass Du es Clemens gegeben hast mit der Bitte, eine kleine Chronik von Freienohl mit zu schicken. Eines Tages wird es schon kommen und darauf kann ich mich jetzt schon mal freuen. Jedenfalls danke ich recht herzlich im Voraus. – Dass wir uns bei unserem Dortsein nicht gemeldet haben, hatte nur einen Grund: Mangel an Zeit. Wir waren ja eine ganz Zeit beschäftigt, man hatte so viel für uns geplant, außerdem waren wir, d.h. Sigi und ich, abgängig von anderen, was Transport anbelangt. Wusstet Ihr, dass wir da waren? Ich dachte, Ihr wusstet es doch bestimmt durch Göckelers, d.h. Ludi, und auch ich hoffte, dass der eine oder andere aus Freienohl anrufen oder rüberkommen würde. Naja, wir werden versuchen, alles nachzuholen. Ob wir nächstes Jahr im März kommen werden, weiß ich nicht genau, ich glaube eher, es wird etwas später sein, denn März ist doch noch ziemlich kalt. Mai oder Anfang Juni dürfte eine schöne Zeit im Sauerland sein, meint Ihr nicht auch? – Nach einem relativ milden Winter hatten wir vor zwei Wochen hohen Schnee, es war 8 Tage lang sehr kalt, jetzt sind noch die Berge um uns herum weiß, aber bei uns kommen schon die ersten Blüten, also: der Frühling ist da. – Neues gibt es von uns eigentlich nicht zu berichten. Sigis Zustand ist unverändert, er ist sehr tapfer und lässt den Kopf nicht hängen, obwohl es oft schwer für ihn ist, ein freundliches Gesicht zu zeigen. Wir haben weiter viele Verabredungen mit Freunden, gehen zusammen essen, zu Konzerten, Oper, ins Kino, machen Musik-Abende bei uns. Sigi ist beschäftigt mit Briefmarken, sein Hobby, ich spiele gern (wenn auch nicht gut) Klavier; Du siehst, vieles bei uns dreht sich um Musik, also keine Langeweile. Manchmal ist es auch schön, gar nichts vorzuhaben; da kann man gemütlich sitzen und lesen oder faulenzen. Ich finde, nach all den schweren Jahren mit harter Arbeit haben wir uns das alles verdient, meint Ihr nicht auch? – Politisch tut sich ja bei Euch allerlei. Es ist interessant, alles von hier aus zu beobachten. Alles überstürzte sich ja in Ostdeutschland und den übrigen Ostgebieten, gar nicht zu sprechen von Russland selbst. Wer hätte an eine derartig drastische Änderung geglaubt, und alles in so kurzer Zeit. Ich sage immer, ich möchte mal in 100 Jahren oder so zurück kommen und sehen, wie alles aussieht, ob die Menschen endlich mal was gelernt haben, in der Hauptsache, dass sie in Frieden miteinander leben können. Dann sage ich mir, wenn wir bisher nichts aus der Geschichte gelernt haben, dann tun wir es auch in 100 Jahren nicht. Irgendwo auf der Welt wird es immer Streit geben, so ist es seit tausenden von Jahren. – So, das soll´s für heute sein. Beste Wünsche Euch beiden, für weiter gute Gesundheit und viel Freude. Arbeitet nicht so sehr, lasst das die jungen Menschen tun. Wir hoffen, wieder einmal von Euch zu hören. Inzwischen herzliche Grüße, Eure – handschriftlich: Ruth + Sigi. – Viele Grüße an Margot, Ludi und alle anderen Bekannten.

Couvert mit Postkarte Dezember 1990

Auf einer Postkartenseite: ein bunter Adventskranz, dann 1 ½ Seiten handgeschrieben:

„Liebe Toni + Herbert, unsere besten Wünsche für schöne Feiertage und ein gesundes, gutes Neues Jahr in jeder Beziehung! Wir hoffen, bei Euch ist alles in Ordnung und dass Ihr das Leben genießt. Von uns ist nichts Neues zu berichten. Meinem Leben, Sigi geht es unverändert und dafür sind wir dankbar. Wir nehmen das Beste von jedem neuen Tag. Leider ist mein Bruder sehr krank (Hans-Walter Emmerich). Ich war im November nur kurz dort, um ihn zu besuchen. Er ist in Behandlung. Hoffentlich geht es ihm bald besser. Zeit, um nach Arnsberg und Freienohl zu kommen, hatte ich diesmal nicht. Vielleicht kommen wir beide im nächsten Jahr. Warum plant Ihr nicht mal eine Reise nach hier? Der Aufenthalt soll Euch nichts kosten, während Ihr hier in Portland seid. Wir würden uns sehr freuen. Platz haben wir genug. Grüßt bitte alle, besonders Pöttgens Paul und seine Familie. Nochmal alles Gute für Euch und alle in der Familie, Eure Ruth und Sigi“

Couvert mit Brief: Portland vom 12. Mai 1991

Beidseitig, DIN A5, Schreibmaschine geschrieben.

„Liebe Toni, lieber Herbert! Ich danke Dir recht herzlich für Deinen lieben Brief, liebe Toni, und Deine warmen Worte zur Anteilnahme zum Tode meines geliebten Bruders. Obwohl er ja längere Zeit krank war und viel gelitten hat, kann ich es immer noch nicht glauben, dass ich ihn nie wiedersehen werde. Wir haben so vieles zusammen erlebt und waten uns so nah trotz der großen Entfernung. Er hatte eine wunderbare Familie und jeder, der ihn kannte, hat ihn gerngehabt. Aber danach geht es leider nicht, wenn es überhaupt etwas Gutes dabei gibt, ist, dass er nicht mehr zu leiden braucht. Ich war ja im November schon einmal für 10 Tage dort und wollte Mitte April noch mal fahren. Als ich meiner Nichte meine Reisepläne angab, sagte sie, wenn ich könnte, sollte ich lieber eher kommen. So fuhr ich am 29. März und war bis zum 9. April da. Der Mann meiner Nichte ist Arzt am Saarburger Krankenhaus und sie hatten ihn dahin gebracht, weil er dort natürlich bessere oder vielmehr persönlichere Pflege als an dem großen Krankenhaus in Köln. Meine Schwägerin war natürlich auch da, als auch meine Nichte aus Israel mit Mann und Kindern. So waren wir wenigstens fast bis zum Ende alle zusammen. Meine Nichte fuhr auch am 9. April wieder ab. Am 12. kam dann der gefürchtete Anruf. Wir überlegten hin und her, ob ich wieder zurück fahren sollte zur Beerdigung, aber alle redeten mir ab. Ich war auch viel zu erledigt, körperlich und seelisch. Ich weiß, mit der Zeit wird es leichter. Vielen Dank auch für die Zeitungsausschnitte. Habt Ihr gemerkt, dass ihnen ein Fehler unterlaufen ist? Wir sind erst 1936 aus Freienohl fort, nicht 1933. Wir sind auch nicht nach Holland ausgewandert, sondern bestiegen nur in Amsterdam das Schiff, das uns nach Südamerika brachte. Dies ist aber nur für Euch, sagt nichts zu denen, die es in die Zeitung gesetzt haben, sie haben es ja gut gemeint, und es ist eine gewisse Genugtuung, dass er in seiner Heimat in Erinnerung gebracht wird. Besonders der Herr Förster ist ein lieber Mann. Ich lernte ihn schon 1980 oder 1979 kennen und er setzte sich sehr ein für das Treffen in Arnsberg 1988. – Was einen Besuch in Freienohl anbelangt: möchten wir sehr gerne mal wieder kommen. Es kommt sehr darauf an, wie mein Sigi sich fühlt. Im November dieses Jahres wird der Sohn meiner Nichte Bär Mizavah, das ist die jüdische Confirmation. Es findet in Straßburg statt und es ist eine kleine Chance, dass wir kommen. Wir würden dann versuchen, auch nach Freienohl zu kommen. November ist zwar kein schöner Monat, aber das ist nun einmal das Datum. Pläne machen kann man eigentlich nicht so früh, aber daran denken kann man ja. - Sigi geht es mal so, mal so. Er leidet unter Schwindel und Gleichgewichtsstörungen. G.s.D. (Gott sei Dank) lässt er sich nicht gehen, ist wie ein Steh-auf-Männchen. So wie er sich besser fühlt, hat er gleich Lust, etwas zu unternehmen. Das macht das Leben natürlich auch für mich leichter. – Das Wetter ist im Moment mal so, mal so. Abwechselnd mal Regen, mal Sonne. Es blüht alles, Flieder, Maiglöckchen, Rhododendron, alles Bäume, wirklich herrlich. Ein Glück, dass die Netur regelmäßig jedes Jahr uns ihre Geschenke beschafft. Da kann man selbst wieder aufleben. – Ich habe mich wirklich sehr gefreut, von Euch zu hören. Ihr seid die Einzigen aus Freienohl und Arnsberg, die mir geschrieben haben und die Zeitungs-Abschnitte sandten. Das erkenne ich Euch hoch an und sage Euch meinen herzlichsten Dank. – So wie Ihr, so hoffen auch wir, dass wir uns innerhalb des nächsten Jahres wieder sehen. Inzwischen grüßt bitte alle dort, die nach mir fragen. Euch Beiden alles Beste, viele liebe Grße, Eure – handschriftlich – Ruth + Sigi

Ende der Brief-Post

Abschrift Heinrich Pasternak, Juli 2021.