Die listigen Freien im Ohl

Die listigen Freien im Ohl

„Eine Henne fliegt nicht über die Mauer!“

„Es können nicht zwei Hähne auf einem Miste stehen!“

„Ein Frosch im Brunnen sieht nur den Mauer-Rand!“

Drei alte Sprüche – so um 1850 – zu Ehren von:

Fräulein Lehrerin und Schützenkönigin Antonette Bause,

Fräulein Lehrerin Franziska nKenter II mit ihrer Freundin Schwester Johanna

und zwei listigen Freienohler Frauen!

Historie plus Geschichte. Also aktenkundige Daten und Protokollarisches aus dem Archiv Freienohl im Stadtarchiv Meschede in Grevenstein und EBAP, Erzbischöfliches Archiv Paderborn plus Informationen von heutzutage, 1960 – 2020.Original-Texte: „Unsere Schule Freienohl“, „Frau, Frauen, Freienohlerinnen“ und freienohler.de: Spalte Freienohl mit Texten , Karten und Bildern.

Erstens: Fräulein Lehrerin Antonette Bause                                                       und Bauunuernehmer Franz Göckeler

Erste biographische Daten von Antonette Bause: geboren 1813 in Arnsberg; ihre Eltern: Joan Caspar Bause mit Anna Margareta geb. Blome. Keine Berufsangaben. Ihre erste Lehrerin-Stelle: 1833 in Calle; Begründung ihres Berufs: kein Befund.1836 „Aufstieg“ nach Freienohl ins Alte Rathaus: Ratszimmer, 2 Schulklassen: Knaben, Mädchen, Lehrerin-Wohnraum (um das anspruchsvolle Wort Wohnung zu vermeiden). Dieses Rathaus, die ganz alte Schule wurde 1852 abgerissen. Die neue Alte Schule 1852 gebaut. In den Schulen lernten 1841: 96 Jungen, 109 Mädchen; 1866: 122 Jungen, 118 Mädchen; 1875: 240 Jungen und Mädchen.

Am 1. Dezember 1852 beschwert sich Lehrerin Bause beim Schulvorstand: Pfarrer Brand, Amtmann Devivere, Funke und Sahse: Es geht um die „ordentliche Benutzung der Schultreppe. Dabei belästige die Knabenschule die Mädchenschule. Die Knaben haben die Mädchen beim Hinein- und Hinausgehen maltraitiert.“ Gemeint ist der ursprünglich gemeinsame Eingang an der Süd-Seite, am Weg zu den Stufen zum Kirchplatz. Lehrerin Bause beantragt am 20. Januar 1853 einen Extra-Eingang für die Knabenschule, von der Ost-Seite (später auch der Eingang zum Friseur-SalonFrau Friseurmeisterin Brigitte Bornemann). – Kommentar zur Henne von heutzutage, 2020: „das Fräulein“: Neutrum, nicht weiblich, nicht männlich. - „maltraitieren“:aus dem Französischen, siehe im Internet: Preußen – Frankreich – um 1850 – die „demokratischen Lieder“; Latein: malus = schlecht; aus dem Französischen traitieren : Traktor, Trecker, ziehen; maltraitieren = schlecht-reden, schlecht-machen; wie und warum die Jungen die Mädchen maltraitiert haben, ist nicht aktenkundig… Internet: Frauenbewegung… hatte, kannte Frau Bause nicht. -

Am 12. Februar 1857 hat nach dem Beschluss des Schulvorstandes: Pfarrer und Amtmann auch die Freienohler Gemeinde-Versammlung mit der Überschrift: „Einziger Tagesordnungspunkt“ an die Lehrerin Bause beschlossen „eine Gehaltserhöhung als ein besonderes Anerkenntnis für ihre Leistungen und außerdem erhält sie jährlich im November 3 Klafter Derb-Holz (= gutes, festes Brennholz) aus dem hiesigen Gemeindewald frei Haus (etwa 7,5 Festmeter) und ohne Vergütung. Ein Weiteres war nicht zu verhandeln.“ - Ein Kommentar ist nicht nötig.

Beim Schützenfest 1857 der St. Nikolaus-Schützenbruderschaft wählen Schützen-Hauptmann und neuer Schützen-König Maurermeister und Bauunternehmer Franz Göckeler mit den Freienohler Schützen die Lehrerin Antonette Bause zur Schützen-Königin! Und sie hat die Wahl angenommen!

Zwei Zwischenbemerkungen: Der Pfarrer in Freienohl Franz Joseph Brand, geb. 1808, war gestorben am 9.12.1857 an einem Leberleiden und der im Sauerland herrschenden Ruhr-Krankheit; er hatte schon den Kaplan Böller aus Rumbeck als Vertreter. Vom Pfarrer Brand sind im Pfarrarchiv und im Stadtarchiv Abteilung Freienohl keine Texte gefunden, die die Verhaltensweisen von Antonette Bause ethisch negativ gewichten. - Der folgende Pfarrer: Johann Heinrich Adams, geb. 1814 in Warstein, Pfarrer in Freienohl am 19.1.1858; er starb 1881 an einem Gehirnleiden. Nur diese Krankheits-Bezeichnung ist aktenkundig; eine medizinisch korrekte Festlegung auf physische oder psychische Ursachen ist gewiss nicht zulässig. Bemerkt sei nur: Eine solche Krankheit entsteht nicht immer von heute auf morgen.

Das Ereignis im Sommer 1857, als er noch gar nicht in Freienohl war, das hat dem neuen Local-Schulinspektor Pfarrer Adams überhaupt nicht gepasst. Er schreibt der Lehrerin Bause, die schon über 20 Jahre in Freienohl arbeitete und die Freienohler wirklich kannte und deren inzwischen erwachsene Schützenbrüder ihre „alte Lehrerin“ auch kannten, am 17. Juli 1858 seinen Brief:

„Wie ich erfahren, haben Sie im vorigen Jahre nicht bloß den von der hiesigen Schützengesellschaft veranstalteten Festlichkeiten beigewohnt; sondern auch dabei sogar die Rolle einer sogenannten “Königin“ übernommen. Damit muss ein solches Verhalten mit Ihrer Stellung als Lehrerin selbstredend als durchaus unvereinbarlich erscheinen; dieser Ihrem dabei weltlichen Vergnügungen und öffentlichen Aufzügen schon fern stehende Beruf es Ihnen vielmehr zur heiligen Pflicht macht, indem Sie sich mit dem Posten einer bescheidenen Führerin der noch unschuldigen Jugend begnügen, den Ihnen anvertrauten Kindern das vor allem so wichtige und so vorzüglich wirksame, schöne Beispiel eines unzweideutigen jungfräulichen Sinnes und besonderer Eingezogenheit (Zuückgezogenheit) zu geben; so sehe ich mich veranlasst, Ihnen für dieses Jahr, sowie resp. (beziehungsweise) für künftig überhaupt, jedwede Beteiligungen an dem Schützenfeste und der dabei stattfindenden Lustbarkeit hiermit förmlich zu untersagen. Für den Fall, dass Sie auch dieses ausdrückliche Verbot wider Verhoffen (hoffentlich nicht) unbeachtet lassen sollten, haben Sie zu gewärtigen (damit zu rechnen), dass ich ohne Säumnis (sofort) die Einleitung einer Disziplinar-Untersuchung gegen Sie bei der Behörde beantragen werde. - Adams, Pf.“

Eine schriftliche oder auch mündliche Antwort der Lehrerin Bause ist – leider – nicht aktenkundig. Auch nicht eine Reaktion der Schützenbruderschaft. – Deutlich ist: „Es können nicht zwei Hähne…“ Also: Einerseits der Local-Schul-Inspector, der schul-amtliche Titel des Pfarrers, wie bei einer Optischen Täuschung: im selben Bild sieht einer die alte Dame, ein anderer die junge Dame. Adererseits: Äußerlich gesehen steht geradezu unauffällig aktenkundig aus den Haushalts-Finanz-Akten der Freienohler Schule vom 1. April 1907: „Lehrerin Antonette Bause hat bei der Freienohler Sparkasse ein Vermächtnis hinterlassen zur Anschaffung von Lernmitteln für arme Kinder von 151,50 Mark.“ Die Stiftung reichte bis 1914.

Am 18. März 1869 bescheinigt die Königliche Regierung Arnsberg, Abteilung des Innern: „Die Schulamtskandidatin Antonette Bause wird zur Lehrerin an der katholischen Elementar-Mädchenschule zu Freienohl hierdurch definitiv ernannt.“

Zur Erinnerung: von 1833 bis 1869, also über 36 Dienstjahre Lehramtskandidatin!

Am 3., 4. Januar 1873 bittet Lehrerin Bause um Versetzung in den Ruhestand – nach 40 Dienstjahren! „Vom Schulvorstand – vorher von der Gemeinde-Versammlung – wurde der Antrag einstimmig als begründet, sowie die langjährige segensreiche Wirksamkeit der Lehrerin Bause in hiesiger Gemeinde anerkannt und deshalb einstimmig beschlossen, mit Rücksicht auf die Gebrechlichkeit und das vorgerückte Alter der Antragstellerin eine jährliche Pension von 160 Taler zu gewähren.“ Der Arnsberger Landrat von Lilien genehmigt den Antrag und die Beschlüsse.

Es kann angenommen werden, dass Lehrerin Antonette Bause von Freienohl umgezogen ist in ihre Heimatstadt Arnsberg, denn sie steht nicht in den Freienohler Friedhofs-Listen.                                                                                                      Eine zugespitzte Zusammenfassung:“Eine Henne Henne springt nicht über eine Mauer.“ Und: „Es können nicht zwei Hähne auf einem Kirchturm stehen.“ Sorry: „..auf einem Miste stehen.“ Und: „Miste“ bedeutet: Lebens-Platz.

Zweitens: Fräulein Lehrerin Franziska Kenter II                                                  und ihre Freundin Schwester Johanna

Eine Vor-Information:                                                                                       Franziska Kenter I: geb. 1858 in Westönnen / Soest, gest. 1919 auch in Westönnen; Lehrerin, 28 Jahre; in Freienohl von 1906 bis 1919. Sie ist die Paten-Tante von Maria Franziska Kenter II. Die Eltern von Maria Franziska Kenter II: Kaspar Kenter, verheiratet mit Wilhelmine geb. Grewe. Franziska Kenter II geb. 1888 in Westönnen; erste Anstellung als Lehrerin in Freienohl: 1906; 1935 versetzt nach Kallenhardt (Callenhardt): Zwischen-Zeit folgt unten; gest. 1963 in Werl, beerdigt in Westönnen. In den zwei Haupttexten „Frau, Frauen, Freienohl“ und „Unsere Schule Freienohl“ sind alle Akten-Daten und die Archive genannt, hier nicht.

Nun zur Haupt-Imformatiion:

Die offizielle Herrschaft des Nationalsozialismus hatte 1933 begonnen.

Am 28. Juni 1934 teilt der Amts-Beigeordnete Joseph Kückenhoff im Auftrag des Bürgermeisters der „Jungfrauenkongregation“ (in der Pfarrgemeinde St. Nikolaus-Freienohl) mit: „Um weitere Zusammenstöße mit der HJ zu vermeiden, ist neben dem Verbot des Tragens von Uniformen oder Uniform-Stücken durch konfessionelle Jugendverbände nunmehr angeordnet, dass den konfessionellen Verbänden auch das Tragen aller Abzeichen verboten ist. Dazu gehört auch das Christus-Abzeichen der Neudeutschen (Verband katholischer Schüler Höherer Lehranstalten).“

Aus einem Brief vom 28. Dezember 1934 vom Freienohler Amtsbürgermeister Michel an den Freienohler Pfarrer Ferdinand Gerwinn (Pfarrarchiv 13): gekürzt, zusammengefasst: Alle Erwachsenen-Organisationen, z.B. SA -Reserve, Reichsluftschutzbund, Sanitäts-Kolonne u.a. dürfen aufgrund einer Verfügung ihre Veranstaltungen nicht mehr in der Schule durchführen. Die Jungfrauen-Kongregationen musste in dieses Verbot als Verein Erwachsener mit eingeschlossen werden. - In den damaligen katholischen Pfarreien bestanden die Jungfrauen-Kongregationen aus jungen Mädchen, nicht aus Schul-Mädchen und nicht aus erwachsenen Frauen; die meisten Jugendverbände waren damals noch geschlechts-getrennt.

Knapp 3 Monate später: am 15. März 1935: Frl. Kenter II ist 47 Jahre alt! Aus einem Bericht des Freienohler Ortsgruppenleiters Joseph Kückenhoff an die Kreisleitung der NSDAP (National-Sozialistische Deutsche Arbeiter Partei) in Arnsberg: Auszüge: „In meinem Bericht von Mai 1933 (der ist nicht aktenkundig) habe ich schon darauf hingewiesen, dass die Lehrerin Kenter (Franziska Kenter II) nicht im Geiste der nationalen Regierung arbeitet … oft (habe ich mich) beschwert beim Schulrat und Kreisleiter... Fast in jeder Versammlung der Parteigenossen Klagen eingebracht, über die meist schon schriftlich und mündlich berichtet ist (im Archiv nicht aktenkundig). (1.) Kenter und Walter (Lehrer Heinrich Walter) lehnten Eintritt in die NSV ab, darüber bei armen Parteigenossen und Notstandsarbeitern Erregung. … (3.) Schw. Johanna (Schwester Johanna Kückenhoff ist eine Schwester von Joseph Kückenhoff, s.u.) hat abgelehnt, im BDM zu helfen (Bund Deutscher Mädchen, die weibliche Parallele zur männlichen Hitlerjugend. HJ). (4.) Geistige Urheberin (Kenter II ist gemeint, auch weiterhin) der Frohschar, denn die geht vom Frauenbund aus (Frohschar: Schulmädchen, die weibliche Pfarrjugend). (5.) Treibende Kraft für alle Schwierigkeiten (mit) der Frauenschaft (NSDAP zugehörig). Bis dahin stand der Frauenbund nur auf dem Papier, dann wurde er Kampfbund. (6.) Kenter wusste ihre Wühlarbeit geschickt zu verschleiern. Es steht nämlich einwandfrei fest, dass sie die Konrektorin Köster, wie auch die Lehrerin Zimmermann davon abgehalten hat, der Frauenschaft beizutreten. Sie hat wörtlich zu ihnen gesagt: „Es darf sich keiner aufnehmen lassen, wie müssen in dieser Sache zusammenhalten.“ (7.) Sie hat den Deutschen Gruß bei Kückenhoff auf der Straße und sogar auf dem Schulplatz abgelehnt (erhobener rechter ausgestreckter Arm und rechte Hand, über Kopfhöhe, dabei die Worte: „Heil Hitler“). (8.) Bei Parteigenossen große Empörung wegen des untergestellten Wimpels, den Frl. Kenter den Kindern abnahm. Ihr Verhalten ist als Aufreizung empfunden. Von der Partei wird ihr deshalb das allergrößte Misstrauen entgegengebracht. Denn sie bestätigt sich in der Öffentlichkeit nur, um zu hetzen oder um Uneinigkeit zu stiften. Durch ihre Eigenschaft und die Verwandtschaft mit mehreren Lehrern (die ist nicht aktenkundig; oder Verwandtschaft „im übertragenen Sinn“) hat sie Uneinigkeit auch unter die Lehrpersonen getragen. Aus allen diesen Gründen ist die Lehrerin Kenter für die Partei in Freienohl nicht mehr tragbar. Ich bitte dringend darum zu veranlassen, dass sie weit genug von hier versetzt wird, damit sie ihren unheilvollen Einfluss nicht weiter ausüben kann.“

Mit dem Schulbetrieb selbst hat der folgende Abschnitt nichts zu tun, aber mit den Schulkindern außerhalb des Schulunterrichts: Konkrete Berichterstattung an den Hauptwachtmeister Stahl, weiter an die Polizeiverwaltung Amtsbürgermeister Michel in Freienohl in der:

Zunächst: Freienohl, am 28. März 1935: der Amtsinspektor Korbmacher schreibt:

„Es erscheint der Maurer Adalbert Korte zu Freienohl wohnend und trägt vor: „Wie ich von dem Kaufmann Paul Becker zu Freienohl hörte, soll die Lehrerin Franziska Kenter zu Freienohl wohnend unter den Schulkindern eine sogenannte Frohschar gegründet haben und soll Fräulein Hehmann die Führerin sein. Näheres hierüber weiß ich nicht. Am letzten Sonnabend war allgemeiner Wandertag für die Schulkinder. Die Schulkinder der Klasse von Fräulein Kenter haben mit dieser einen Ausflug nach Wallen gemacht. Zu dieser Wanderung beabsichtigten die Kinder, einen Hakenkreuz-Wimpel mitzunehmen. Fräulein Kenter soll gesagt haben, der Wimpel sei zu schwer und soll derselbe in ein Haus gestellt worden sein. Die Lehrerin habe gesagt, sie könnten wohl einen Wimpel Blauweiß mitnehmen. Die Kinder haben das Lied angestimmt „Durchs Sauerland marschieren wir“, worauf Fräulein Kenter gesagt haben soll, es würden keine Marschlieder sondern Wanderlieder gesungen. Ich bringe diese Sache hiermit zur Anzeige und bitte um Anstellung weiterer Mitteilungen.“

Umseitig plus 2 Seiten steht dieser Brief vom Hauptwachtmeister Stahl:

Freienohl, den 5. April 1935: An die Polizeiverwaltung in Freienohl: „Seit ungefähr 14 Tagen besteht in Freienohl eine Vereinigung „Frohschar“. Gründer derselben ist der Pfarrer Gerwinn in Freienohl, welchem angeblich von seiner vorgesetzten, bischöflichen Behörde die Gründung der Frohschar empfohlen worden ist. Als Leiterin der Frohschar wurde von Pfarrer Gerwinn die Haustochter Else Hehmann in Freienohl bestimmt, welche gemeinsam mit der Fürsorgeschwester Irmfrieda den Verein leitet. Es fand bisher eine Zusammenkunft der Frohschar statt und zwar am 28.3.1935 im Schwesternhause, woran etwa 20 Mädchen teilnehmen. Während dieser Veranstaltung, welche ungefähr 1 ½ Stunde dauerte, wurden Spiele aufgeführt und gesungen. Wie ich von der Leiterin Hehmann erfihr, sollen später auch religiöse Vorträge gehalten werden. Weiter habe ich festgestellt, dass bis jetzt 39 über 10 Jahre alte Mädchen aus den oberen Schulklassen der Frohschar beigetreten sind. Auch habe ich erfahren, dass 7 von diesen Mädchen, welche heute noch dem BDM angehören, aus diesem austreten wollen und zwar mit der Begründung, dass bei der Frohschar keine Beiträge erhoben und ihnen dort dasselbe geboten würde wie bei dem BDM. Von einem Kinde wurde berichtet, dass die Frau des Dr. Dehen ihnen versprochen habe, dass sie auch wie bei dem BDM weiße Blusen tragen dürften und auch Wanderungen gemacht würden. Zur Werbung für die Frohschar wurden von der Fürsorgeschwester Irmfrieda die Schülerinnen Therese Feldmann und Angelika Figge beauftragt, wozu letztere zum BDM gehört und alleine 19 Schülerinnen zur Aufnahme bei der Frohschar bewogen hat. Die Schülerin Else Winterhoff ist bereits aus dem BDM ausgetreten. Ob und wie die Lehrerin Kenter bei der Gründung der Frohschar beteiligt war, konnte ich nicht feststellen. Es ist aber mit aller Bestimmtheit anzunehmen, dass sie wie bei der Gründung anderer derartiger Vereine ihre Hand im Spiel hatte. Da die Kenter weiß, dass sie sich als Beamtin in dieser Weise sich nicht öffentlich betätigen darf, liegt die Vermutung nahe, dass ihre Mitwirkung in versteckter Form geschehen ist. Der Leiter der Schule, Rektor Breitenbach, der von der Gründung der Frohschar vorher nichts wusste, hat nach Bekanntwerden eine gründliche Untersuchung der Angelegenheit vorgenommen. Auf sein Zureden sind 6 Mädchen aus der Frohschar wieder ausgetreten. – Über die Mitführung des Hakenkreuz-Wimpels bei einer Wanderung habe ich folgendes festgestellt: An einem Wandertag im September vorigen Jahres wurde von den Mädchen der Klasse Kenter ein Halenkreuz-Wimpel mitgebracht. Die Klasse führte diesen an der Spitze des Zuges mit durch den Ort bis zur Rümmecke. Dort wurde e rauf Geheiß der Lehrerin Kenter bis zur Rückkehr in einem Hause bei der Familie Schröer untergestellt. Die Lehrerin soll als Grund angegeben haben, es sei kalt, der Wimpel würde den Kindern beim Streifen durch den Wald hinderlich sein und wäre auch zu schwer. Einige Kinder, die absolut darauf bestanden hätten, den Wimpel weiter mitzuführen, hätten sogar geweint, wie ihnen dieses verboten wurde. Ferner hat ein Mädchen ausgesagt, dass ihnen auf dieser Wanderung das Singen des Liedes „Durch’s Sauerland marschieren wir“ von der Lehrerin Kenter verboten worden sei mit dem Hinweis, dass nur Wanderlieder gesungen werden dürften. Ob die Lehrerin Kenter gesagt hat, dass blauweiße Wimpel mitgeführt werden dürften, konnte ich nicht feststellen. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass die Kenter eine ausgesprochene Gegnerin des heutigen Systems ist, welches sämtlichen Parteigenossen zur Genüge bekannt ist. So erwidert sie noch nicht einmal dem Ortsgruppenleiter Kückenhoff den Deutschen Gruß, obgleich ihr Kückenhoff seit langen Jahren bekannt ist und nie etwas Persönliches mit ihr gehabt hat. gez. Stahl, Hauptwachtmeister.“

Auf der Rückseite stehen die „Namen der jetzigen Kinder, die zur Frohschar gehören“ mit den danebenstehenden Anmerkungen; das Pluszeichen meint die weitere Zugehörigkeit; die Nummerierung ist hier ausgelassen; Summe: 33: Angelika Figge + BDM, Werberin für die Frohschar / Elisabeth Düring + BDM / Hilde Heckmann + BDM / Hedwig Schneider / Hedwig Guse / Moni Neise + BDM / Sophia Geißler * BDM / Gertrudis Kordel / Johann Krick / Elisabeth Funke / Hilde Hömberg / Josefine Nolte / Anni Imöhl / Theresia Feldmann, Werberin für die Frohschar / Anneliese Weber / Else Nolte / Toni Heckmnann / Josefine Heckmann + BDM / Johanna Klauke / Apolonia Neise / Else Becker / Karola Figge / Elisabeth Pöttgen / Ida Raulf / Martha Böddicker / Magdalene Schwefer / Erna Pöttgen / Edith Wagner / Irmgard Rocholl / Helene Zacharias / Gertrudis Hoppe / Martha Bauerdick / Frieda Trompetter.

Am 29. April 1935 :

Verantwortliche Vernehmung eines Beschuldigten : Auf Vorladung erscheint die Lehrerin Franziska Kenter und sagt, mit dem Gegenstande der Vernehmung bekannt gemacht und zur Wahrheit ermahnt, aus: Zur Sache: Von der Gründung der Frohschar habe ich erst erfahren, als die Gründung erfolgt war und zwar durch meine Kollegin Fräulein Köster. An der Gründung selbst bin ich in keiner Weise beteiligt gewesen, auch nicht in versteckter Form. Auch bei Gründung anderer Vereine bin ich nicht tätig gewesen und muss ich die in dem Bericht des Gend. –Hauptwachtmeister Stahl ausgesprochene Verdächtigung ganz entschieden zurückweisen. Es sind ja auch sonst in der letzten Zeit in Freienohl gar keine Vereine gegründet worden. - Im vorigen Jahre, den Zeitpunkt kann ich nicht mehr genau angeben, fand eine Schulwanderung statt und zwar führte ich die Mädchen-Mittelklasse des V. und VI. Schuljahres. An der Spitze wurde ein Hakenkreuz-Wimpel geführt und zwar von der Schule aus Freienohl zur Rümmecke. Hier habe ich angeordnet und zu dem Kinde gesagt, es möge der Wimpel hier in ein Haus gestellt werden, da wir gleich in den Wald kämen und derselbe beim Streifen durch den Wald hinderlich sei. Wir kämen denselben Weg zurück und würden denselben dann bei unserem Rückzug in Freienohl zur Schule wieder mitführen, was auch geschehen ist. Ich habe mir hierbei weiter nichts gedacht und nur im Interesse der Kinder gehandelt. Dass hierüber ein Kind geweint haben soll, ist mir nicht bekannt, dieses halte ich aber auch für ausgeschlossen. Es ist mir auch nicht erinnerlich, dass ich den Mädchen das Singen eines Liedes verboten habe, auch die Kinder können sich dessen nicht erinnern. Ein blauweißer Wimpel ist bei unseren Wanderungen nie mitgeführt worden. – Von Herrn Kreisschulrat Eickelmann ist dem Lehrerstande in einem Vortrage gesagt worden, dass Mädchen sich anders zu verhalten hätten wie Jungens. Zu Beginn dieses Jahres ist durch einen Ministererlass bestimmt, dass es den Mädchen verboten ist, Kampflieder zu singen, die fraulicher deutscher Art nicht angepasst sind. - Wohl habe ich in der Schule mit den Mädchen ein geeignetes Hitler-Lied eingeübt. - Mit ist nicht anders bekannt, als dass ich mit dem Ortgruppenleiter der NSDAP, Herrn Kückenhoff, im besten Einvernehmen lebe. - Als ich vor kurzem in obiger Angelegenheit mit ihm Rücksprache nehmen wollte, stand er mit dem Waldwärter Bartholome zusammen. Bei meinem Hinzukommen sagte ich scherzweise, heute Morgen tue ich etwas, was ich in meinem Leben noch nicht getan habe, indem ich einem Manne nachlaufe. Bei meinem Näherkommen habe ich mit „Heil Hitler“ gegrüßt und wurde der Gruß auch von beiden Herren erwidert. Auch sonst habe ich immer gegrüßt und muss ich gegenteilige Behauptungen entschieden zurückweisen. - Ich entstamme einem seit Jahrhunderten auf der heimatlichen Scholle der Soester Börde angesessenen durchaus geachteten Bauerngeschlecht, aus dem im Laufe der Jahrhunderte auch eine ganze Anzahl von Lehrpersonen hervorgegangen sind, wirke im 30. Jahr meiner Lehrerinnen-Tätigkeit in Freienohl, stehe voll und ganz auf dem Boden der Regierung und setze mich stets voll und ganz für mein Vaterland ein. Alle gegenteiligen Anwürfe muss ich mit Entrüstung zurückweisen. Seit Gründung bin ich Mitglied des NS-Lehrerbundes. – gez. Franziska Kenter - gez. Korbmacher, Amtsinspektor.

Lehrerin Franziska Kenter II ist 1935, 50-jährig, zur Strafe nach Kallenhardt versetzt worden.

Auszug aus der „Schul-Chronik I“:„Am 4. Juli 1935: Frl. Lehrerin Kenter ist erkrankt und muss vom 14. Juni bis 30. Juni vom Kollegium vertreten werden.“ (Die 3 Termine sind korrekt abgeschrieben.)

„Am 1. Juli: Lehrerin Franziska Kenter II ist durch Verfügung der Regierung ab 1. Juli im Interesse des Dienstes nach Kallenhardt Kreis Lippstadt versetzt.

Nun zu ihrer Freundin Schwester Johanna: Johanna Kückenhoff, Schwester von Joseph Kückenhoff, geb. 6.6.1906 in Freienohl, gest. 19.6.1941 (35 J.), ledig, ohne Beruf, Alte Wiese 15. Ihr großer Bruder:                                                                                                      Joseph Kückenhoff, Landwirt, Bauer, geb. 9.9.1889 in Freienohl, verheiratet mit Anna Elisabeth Höhmann, geb. 29.3.1890, Heirat 20.5.1930; Am Hügel 59; er gest. 2.12.1960.

Johanna Kückenhoff wird in den offiziellen amtlichen und - NS-Zeit zeitbedingt – politisch orientierten Akten aufgrund der in Freienohl parteipoltisch hohen Position ihres großen Bruders nicht genannt. Ihr Engagement in der kirchlichen Jugendarbeit für die Frohschar – Woche für Woche - war nicht erwünscht. Freilich bleibt die dankbare Erinnerung. Denn so Hanna-Barbara Gerl-Falkowitz: „Geschichte ist der Humus, auf dem die Zukunft wächst.“

Drittens: Zwei listige Freienohler Frauen in der NS-Zeit    

Zunächst vom Stummen Ochsen vom Köln: Thomas von Aquin: „Klugheit ist Tugend. Dummheit ist Sünde.“ Und damit zum Wahrnehmen des Humus: ehemalige Schülerinnen von Fräulein Kenter II ? Also rund um 1935 – 1940.

Beim Sicherinnern an Fräulein Lehrerin Franziska Kenter II und an die Nazi-Zeit fallen älteren jetzigen Freienohlerinnen (2015) diese Begebenheiten ein. Weil es sich um einige wenige Frauen gehandelt hat, aber nicht alle namentlich bekannt sind, sei hier keine genannt. Da wurden 2 Frauen beim Freienohler Bürgermeister angezeigt, sie machen keinen „richtigen Hitlergruß“; sie würden ihren rechten Arm mit ausgestreckter Hand nicht ganz gerade und hoch halten und nicht richtig „Heil Hitler“ sagen. Der Bürgermeister gab den Vorwurf weiter nach Arnsberg und die Frauen mussten zum Amtsgericht. Dort sollten sie den Hitlergruß einmal vormachen. Das schafften sie nicht. Kaum bis zur Gürtellinie. Ihr Gesicht verzerrte sich schon. Sie seien auch älter und sie hätten Gicht in den Armen. Der Richter war oder schien sehr beeindruckt zu sein. Und die Frauen konnten unbestraft wieder zurück in die Freiheit Freienohl. Listig und klug wie das Leben mit einer Optischen Täuschung: Das eine Bild, den einen Geggenstand, den einen Menschen sieht A so, B anders, C wie A und B. Manchmal sehen A oder B wie der Frosch tief unten im Brunnen und oben nur den Brunnenrand. A und B sollten, mögen auch wie C sehen, beurteilen. Das ist klug wie die listigen Freien im Ohl.

Heinrich Pasternak, Februar 2022.