Heinrich Repke-Kreuzweg-Beten in unserer St. Nikolaus-Kirche Freienohl: Erzähl-Kreuzweg

Vorbemerkung: Dieser Kreuzweg wurde gemalt vom Wiedenbrücker Kirchenmaler Heinrich Repke, in den Jahren 1929 bis 1933 in der auch auf den Bildern schon deutlich gewordenen Zeit des Nazi-Regimes. Von 1959 bis 2002 war dieser Kreuzweg – leider – ausgelagert. Dank des tatkräftigen Einsatzes unseres Pfarrers Michael Hammerschmidt wurde der Kreuzweg vom Sohn und Enkel Willi und Willy Repke, Rheda-Wiedenbrück, und ihren Mitarbeitern restauriert und kam so – herzlich wieder erkannt und begrüßt – erneut in unsere Kirche. Religionspädagogisch ist er auch ein vorzüglicher sogenannter Erzähl-Kreuzweg. Vor dem Gebet kann viel von Jesus und den Menschen beobachtet und erzählt werden von Eltern zu ihren „Schul“-Kindern. Auch diesem Beten kann diese Textfassung dienen.

Wir beginnen am Altar

 

Warum fangen wir am Altar an? Der Altar sieht aus wie ein ganz, ganz fester Tisch. Doch er ist viel mehr als ein Tisch. Das zeigt schon das Material: harter, fester Eifeler Vulkan-Stein und die sehr schwere Tischplatte. Die können auch mehrere Menschen nicht tragen. Nicht mal 12 Menschen schaffen das, indem die sich um den Altar stellen. Auf dem Altar-Fuß ist ein in Stein gemeißeltes Bild zu sehen. Das zeigt genau, was der Altar eigentlich bedeutet. Die drei welligen Hügel sind ein Bild für eine Wüste (östlich von Ägypten, am Berg Horeb). Darüber Feuer-Flammen. (Das Kreuz in der Mitte kommt gleich dran.) Wüste und Feuer, das ist die Geschichte von Mose am brennenden Dornbusch (in der Bibel. Im Alten Testament, im Buch Exodus 3. Kapitel steht die Geschichte ausführlich). Eine Stimme spricht Mose an: „Bleib stehen! Hier ist heiliger Ort!“ Die Stimme beauftragt Mose, er soll das Volk Israel von der Gefangenschaft der Ägypter befreien. Mose fragt nach dem Namen der Stimme. Die Antwort: „Ich bin Jahweh.“ Auf Deutsch bedeutet der hebräische Name: „Mein Name ist: Ich war immer für euch da – ich bin immer für euch da – ich werde immer für euch da sein!“ Dieser Name, ein solcher Name reicht Mose vollständig. Denn dass dies der Name Gottes war, war Mose völlig klar. Das also war der wichtigste Name Gottes für das Alte Volk Gottes. Für jetzt, für uns, für das Neue Volk Gottes steht da das Kreuz in der Mitte. Auch hier gilt: „Bleib stehen! Hier ist heiliger Ort! Jesus Christus!“ Für Jesus Christus ist der Altar das Symbol, das Zeichen, ja, noch mehr als nur ein Zeichen : Der Altar steht da an der Stelle von Jesus Christus. Der Altar ist die Stelle, an der Gott in der Heiligen Messe, in der Eucharistiefeier, das Kreuzesopfer von Jesus gegenwärtig macht. Das macht Gott, nicht wir Menschen. Der Priester ist der vom Bischof geweihte und beauftragte Stellvertreter des Bischofs und – aufgrund der Nachfolge durch die Jahrhunderte – der Stellvertreter für Jesus Christus. – Das Kreuzesopfer. Was ist das? Was soll das? Warum gibt es das? War das denn nötig? – Die Antwort ist unser Kreuzweg-Beten. Um die Antwort etwas zu verstehen, schauen wir uns den Kreuzweg Jesu an, gehen ihn mit und beten ihn.

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Bei der Station angekommen, machen wir zu Jesus Christus eine Kniebeuge oder eine tiefe Verneigung und beten die Jahrhunderte alten Kurz-Gebete:

V: Wir beten Dich an, Herr Jesus Christus, und preisen Dich!

A: Denn durch Dein heiliges Kreuz hast Du die Welt erlöst.

Nach dem Gebet des Stationsbildes:

V: Heiliger Gott, heiliger starker Gott, heiliger unsterblicher Gott!

A: Erbarme Dich unser!

Dann gehen wir zur nächsten Station.

Erste Station: Jesus wird zum Tode verurteilt

Warum wird Jesus nach zweieinhalb Jahren seines öffentlichen Lebens zum Tode verurteilt? – Damals, als Jesus lebte, fast wie ein ganz normaler Mensch, in Israel, zwischen Nazareth und Jerusalem, da war den Menschen noch nicht aufgegangen, dass Jesus durch und durch Mensch und gleichzeitig durch und durch Gott ist. Um diesen Glauben auf den Weg zu bringen, darum musste Jesus zum Tod verurteilt werden. Er durfte einfach nicht wie ein ganz normaler Mensch leben und sterben. Warum nicht? Jesus hat den Menschen immer vorgelebt, wie ein durch und durch guter Mensch lebt. Und er hat den Menschen auch immer erzählt, gesagt, wie ein durch und durch guter Mensch zu leben hat. Nämlich: dass und wie ein solcher Mensch Gott anbetet und wie ein solcher Mensch zu allen anderen Menschen ausnahmslos gut ist. Und genau das hat einigen bestimmten Israeliten nicht gepasst. Die waren davon überzeugt, schon alles richtig zu machen. Sie wollten das, was Jesus sagte und das, was er vorlebte, einfach nicht verstehen. Sie verdrehten alles. Und zwar so, dass Jesus unbedingt zum Tode verurteilt werden musste. Dazu hatten sie aber nicht die Macht. Die hatten die Römer. Die Römer hatten das Sagen in Israel. Sie waren die Besatzungsmacht. An ihrer Spitze Pontius Pilatus. Der wusste freilich, dass Jesus – wenigstens in den Augen der Römer – unschuldig war. Doch Pilatus wurde überlistet von dieser kleinen, aber gesellschaftlich einflussreichen Gruppe der jüdischen Aristokratie. Also verurteilte der Ausländer Pilatus, der allerdings mit den erwünschten Machtbefugnissen ausgestattet war, Jesus zum Tode. Einerseits. Andererseits – und das zeigt das Bild ganz klar – reinigt Pontius Pilatus unter fließendem Wasser seine Hände blitz blank. Dieses Zeichen verstanden alle: „Ich bin unschuldig!“ Vielleicht hat er noch hinzugefügt: Aber ich wurde erpresst. –

Ergänzend noch zweierlei: Auch was auf einem Gemälde nicht gesehen wird, ist oft wichtig. Das könnte ein wohlüberlegter, freilich unsichtbarer Trick des Künstlers sein. Diese hinterlistige Pressure-Group bleibt völlig im Hintergrund. – Ferner: Das zuletzt geschriebene Evangelium, das Johannes-Evangelium verdichtet die abhängig machende Macht dieser Gruppe zu Satan. Damit ist die leider immer noch zu hörende Verallgemeinerung, „die Juden“ seien Schuld am Tod Jesu, nicht zulässig.

Wir wollen beten! Herr Jesus Christus! Auch wir wollen durch und durch gute Menschen sein. Hilf uns mit Deinem Heiligen Geist, dass uns das Gutsein möglichst immer gelingt, dass wir immer eindeutig gut sind, dass wir nicht falsch verstanden werden! Hilf uns auch, dass wir andere Menschen verstehen, dass wir sie nicht schlecht machen durch unser Reden hinter ihrem Rücken, dass wir sie nicht hinterrücks umbringen. Darum bitten wir Dich, Jesus Christus, unsern Herrn und Gott. Amen.

Zweite Station: Jesus nimmt das Kreuz auf seine Schultern

Warum wurde Jesus ausgerechnet gekreuzigt? – Die Kreuzigung war die Todesstrafe für den untersten, für den gewöhnlichsten Sklaven, für die Menschen, die als völlig wertlos galten, die zu den verachtetsten Menschen gehörten, gehören sollten. Für solche war diese brutale Folterung mit dem oft sehr langsamen Wegsterben genau richtig. – Das wussten die drei Männer auf dem Bild. Was haben die sich wohl gedacht? Was sagen die wohl gerade?

Der linke: „Jesus, das hast du nun davon, von all deinen guten Taten und deinen guten Worten! Jetzt verzichte auch bis zum Letzten auf alle Hilfe!“ - Der alte Mann: „Jesus, ich hab’s ja schon öfters gesagt: musstest du wirklich immer so konsequent leben und dein Wort machen? Du hättest ruhig mal hier und da ein Auge zudrücken können!“ - Und der junge Mann rechts: „Nun pack schon an! Mach’ voran! Du bist doch nur ein kleiner Wurm!“

Wir wollen beten! Herr Jesus Christus! Schenk uns mit Deinem Heiligen Geist immer so viel Tapferkeit und Mut, zum Dienen bereit und fähig zu sein, auch wenn wir keine Lust dazu haben. Darum bitten wir Dich, Jesus Christus, unsern Herrn und Gott. Amen.

Dritte Station: Jesus fällt zum ersten Mal unter dem Kreuz

Jesus stolpert nicht einfach nur so. Die Folterung der Geißelung hat er schon hinter sich: An etwa 50 cm langen Schlag-Stöcken sind einige 60 – 80 cm lange Lederbänder befestigt, am Ende ein 2 bis 3 cm großer Bleiring. Damit wurde auf den nackten Körper geschlagen, überall hin. 39 Schläge, 40 waren verboten. Der Gefolterte durfte möglichst nicht ohnmächtig werden, erst recht nicht sterben. Denn die Blei-Enden drangen tief ins Fleisch ein, rissen es auf, bis auf die blanken Knochen.

Ob der Soldat Mitleid hat? Weil Soldaten im Krieg schon einiges Leid, einiges Verwundetsein mitgemacht oder wenigstens gesehen haben, vielleicht. Und der alte Herr rechts? Mit seiner Schriftrolle in der Hand (Bücher gab’s damals noch nicht) ein Zeichen für Gebildetsein? Zu vornehm, zu stolz, zu unbeholfen zum Helfen?

Wir wollen beten! Herr Jesus Christus! Hilf uns mit Deinem Heiligen Geist, dass wir nie einen Menschen zum Fallen bringen, dass wir nicht gewalttätig werden mit unseren Armen und Beinen und Füßen, dass wir nie einen Menschen verletzen, verwunden mit der beißenden Schärfe und Gehässigkeit unserer Worte! Und wenn, dann schenk uns den schnellen Verstand und den tapferen Mut, dass wir um Verzeihung, um Entschuldigung bitten! So bitten wir Dich, Jesus Christus, unseren Herrn und Gott! Amen.

Vierte Station: Jesus begegnet seiner Mutter

Besonders fallen die drei Hände auf. Was diese drei Hände wohl sagen wollen? Die Hand von Jesus, die zwei Hände von seiner Mutter Maria. Johannes, der Jünger und Freund, hört nur zu, staunt. Was für eine erstaunliche Situation! Freundschaft, Liebe vermag da noch reden zu können!

Man sollte doch mal versuchen, diese Hände-Finger-Sprache nach zu machen und - wenn das erlaubt, möglich ist - sich dann auch so in die Augen schauen wie Jesus und Maria. Vor allem Letzteres wird nicht gelingen. Wir haben nicht die Erfahrungen dieser Beiden hinter uns. Welche Erfahrungen haben denn diese Beiden hinter sich? Was sagen sie wohl? – Maria: „Muss das denn sein? Muss das denn so sein?“ Jesus: „Maria, ist doch ganz klar. Dienen durch und durch!“ Das Wort „Maria“ klingt dabei so wie bei der Maria Magdalena am Auferstehungs-Tag. - Also: Maria hatte schon verstanden. Ihre Augen zeigen es. Und Johannes traut sich noch nicht, Jesus tatsächlich zutiefst wahrzunehmen.

Wir wollen beten! Herr Jesus Christus! Mit Deiner Botschaft: Gottesliebe und Nächstenliebe, sichtbar gemacht mit Dienen, mit Verzicht auf jede Herrschaft und Macht, bist Du uns immer noch rätselhaft, geheimnisvoll. Es fällt uns nicht leicht, Dir nach zu folgen. Hilf uns mit Deinem Heiligen Geist zu gründlicher Einsicht unseres Verstandes und zu tiefem Gespür für unseren Mut bei unseren Nachfolge-Versuchen. So bitten wir Dich, Jesus Christus, unsern Herrn und Gott. Amen.

Fünfte Station: Simon von Cyrene hilft Jesus das Kreuz tragen

Aus dem Evangelium lässt sich sehr gut vermuten, dass Simon von Cyrene vor allem überhaupt keine Zeit hatte für einen solchen Dienst. Seine Arbeit hatte er hinter sich und seine beiden Jungen bei sich. Vielleicht wollte wenigstens der jüngste nur mal zuschauen, was der Vater tagsüber macht. Der ältere durfte etwas mit anpacken. Und jetzt dieses! Simon hat bestimmt keine Lust. Dem großen Jungen kommt das völlig rätselhaft vor. Der kleine Junge ist ganz durcheinander wegen der Grausamkeit, wegen des Bluts. – Und der Alte im Hintergrund? Nur Neugierde. Wie das alles hier bloß weiter geht? – Jedenfalls: Simon muss mit anfassen. Vielleicht hat er auch nach dem ersten Widerwillen gemerkt: „Hier muss genau ich jetzt helfen!“

Wir wollen beten! Herr Jesus Christus! Wenn uns das mal passiert, dass wir ganz plötzlich und völlig unvorbereitet einspringen müssen, helfen, dienen. Wenn kein anderer da ist, wenn wir keinem anderen diesen Dienst zutrauen, weitergeben dürfen, dann schenk uns die Kraft Deines Heiligen Geistes zum Dienen – hier und jetzt. So bitten wir Dich, Jesus Christus, unsern Herrn und Gott. Amen.

Sechste Station: Veronika reicht Jesus das Schweißtuch

Man stelle sich vor: man ist völlig fertig, man kommt kaum noch weiter. Mühsam stützt man sich mit einer Hand auf die Knie. Und dann kommt diese Hilfe! Und wie die Kommt! – Bei Jesus war das alles noch viel schlimmer. – Diese Veronika. Nicht eine immer hilfsbereite ältere Frau, wie auf anderen Kreuzweg-Bildern. Vielmehr ein wunderschönes junges Mädchen, eine junge Dame. Eine sehr reiche dazu. Das zeigt das golden strahlende Blond ihrer Frisur, geschickt und sorgfältig geflochten und auch wieder elegant geöffnet. Der wie ein Stern glänzende Schmuck oberhalb des Ohres und das gar nicht so kleine Ohrgehänge. Das vornehme, warme Rot des Kleides, am Hals hoch geschlossen mit einem Gold durchwirkten Kranz. Darüber ein einem weiten Mantel ähnlicher Umhang aus sehr kostbarem Stoff, dazu noch mit eingewebten Kreismustern, hellgelb leuchtend wie die Haare. Diese Veronika tritt mitten im schrecklichen Lärm des Kreuzweges auf Jesus zu, tupft ihm äußerst behutsam und einfühlsam hinschauend mit einem großen Tuch Schweiß und Blut vom Gesicht. - Ganz das Gegenteil der Soldat, der sehr junge Mann. Lässig hat er seinen Helm etwas nach hinten geschoben. Mit hoch gezogenen Lippen und mit gehässigem Blick guckt er angeberisch von oben nach unten auf Veronika. Fast so nebenbei hält er auch sein Handwerkszeug, vielleicht eine Lanze. - Beide wie zwei ganz verschiedene Parteien, ganz verschieden junge Leute. Veronika ganz und gar auf der Seite von Jesus. Der Soldat auf der Seite der Gleichgültigkeit, der Wertelosigkeit: ist doch alles egal.

Wir wollen beten! Herr Jesus Christus! Mit Worten und in Gedanken ist es leicht, auf Deiner Seite zu stehen. Aber mit Taten, mit dem praktischen alltäglichen Leben, vor allem in aller Öffentlichkeit ist das nicht immer leicht. Hilf uns mit Deinem Heiligen Geist, dass er uns Tapferkeit und Mut schenkt, dass wir in unserem alltäglichen Leben immer auf Deiner Seite stehen! Hilf uns, dass wir uns deutlich sichtbar und tapfer einsetzen – wie Veronika – gegen alles Ungerechte. So bitten wir Dich, Jesus Christus, unsern Herrn und Gott. Amen.

Siebte Station: Jesus fällt zum zweiten Mal unter dem Kreuz

Kein Wunder. Die Dornenkrone ist eine schreckliche Folter. Große, spitze, trocken-harte Dornen – zu einem Kranz geflochten – zum eigenen Fingerschutz mit Lederhandschuhen – dem zur Folter Verurteilten fest auf den Kopf gedrückt und hin und her gezerrt – die Stachel dringen durch bis auf die knöcherne Schädeldecke – schon die kleinste Bewegung muss fürchterlich und äußerst schmerzvoll sein – mit den Händen musste der Kreuzesbalken fest gehalten werden... Warum ist den Folterern dieses total verdrehte „Königs-Zeichen“ eingefallen? Weil Jesus gesagt hat: „Mein Königreich ist nicht von dieser Welt.“ Ein Königreich, in dem nicht derjenige König ist, der am meisten das Sagen hat, nach dem sich alle richten müssen, das kann man sich nicht vorstellen. Vielmehr soll der König sein, der vollständig zum Dienen bereit und in der Lage ist, der durch und durch demütig ist, mutig zum Dienen, das kann und will man sich nicht vorstellen. Heutzutage heißt der Fachausdruck dafür nicht Demut sondern Statusverzicht. Unverständlich! Und: in ein solches Königreich gehören diejenigen, die auch grundsätzlich und immer zum Dienen bereit sind und das auch tun, es wenigstens versuchen, die demütig sind, - modern – die zum Statusverzicht bereit sind.

Wir wollen beten! Herr Jesus Christus! Du bist ein zweites Mal unter dem Kreuz gefallen, weil keiner Dir beistehen will, weil keiner Dich verstehen will. Schenk uns mit der Hilfe Deines Heiligen Geistes einen so lebendigen Verstand und ein so einfühlsames Herz, dass wir bereit und fähig werden zum Dienen, zur Demut, zum Mut zum Dienen, zum Statusverzicht. Damit können wir dann Dein Reich mit aufbauen, so wie Du es Dir vorstellst und uns vorgelebt hast. Darum bitten wir Dich, Jesus Christus, unsern Herrn und Gott. Amen.

Achte Station: Jesus begegnet den weinenden Frauen

Warum nur weinen die Frauen? Anders herum: Warum weinen nur die Frauen? Und nicht auch die Männer? Es scheint so zu sein, dass die Frauen viel mehr, viel tiefer und überhaupt gründlich gefühlt und verstanden haben, was Jesus wirklich wollte. Nämlich den Menschen sagen und vorleben, wie der Mensch eigentlich zu leben hat. Gott anbeten, den Nächsten lieben, das heißt: dem Nächsten das für ihn Gute wollen und tun. Und das mit Demut, mit Mut zum Dienen, mit völligem Statusverzicht. – Dieses Lebensprogramm aber haben die meisten Menschen ins Gegenteil verdreht. Das eben war und ist zum Heulen für die Frauen mit ihren Kindern auf dem Arm und fest an ihrer Seite. Die Männer scheinen davon noch nicht einmal das Weinen darüber mit bekommen zu haben.

Wir wollen beten! Herr Jesus Christus! Bei diesem Zusammentreffen der Frauen mit Dir auf Deinem Kreuzweg sollen wir wohl etwas für uns ganz Neues lernen: Weinen können. Dabei aber unterscheiden können, was ein nicht so gewichtiger, nicht so tief greifender Schmerz ist und was wirklich zum Weinen ist, dass wir immer noch nicht richtig verstanden haben, dass Du uns nur mit Deinem einzigartigen Leben und vor allem auch Sterben klar gemacht hast, worauf es ankommt, dass manches Dienen im Leben nur durch Mitleiden verstanden werden kann. Hilf uns mit Deinem Heiligen Geist, dass wir das Mitleiden lernen. So bitten wir Dich, Jesus Christus, unsern Herrn und Gott! Amen.

Neunte Station: Jesus fällt zum dritten Mal unter dem Kreuz

Wenn jemand immer wieder hinfällt, wenn jemand immer wieder Fehler, immer wieder etwas Falsches macht, was machen wir Menschen dann? Was denken, fühlen wir dann? – Was zeigen uns auf dem Bild die beiden Männer? Denn Jesus liegt nun fast regungslos auf dem Boden. Er kann nicht mehr. Der Mann rechts im Bild zieht den linken Arm von Jesus etwas hoch. Doch die Hand hängt schlaff herunter. Der Mann links im Bild hebt vorsichtig das Kreuz hoch, das Jesus beinahe erdrückt hat. – Beide sehen das Leid. Sie haben die Stürze bestimmt mit gezählt. Jetzt reicht es. Sie packen mit an. Jesus soll sich wieder aufrichten können. Der Kreuzweg ist noch nicht am Ziel. Also: wenn er fällt, dann fällt er eben. Egal, wie oft. Und das ist schon schlimm, dass das egal ist.

Wir kennen Menschen, die immer wieder etwas falsch machen, die immer wieder hinfallen, die dann alleine, von sich aus nicht mehr hoch kommen. Vielleicht geht uns das eines Tages auch so. Was dann? Ist doch egal? Alles gleichgültig? Oder: wer hilft dann doch wieder hoch?

Wir wollen beten! Herr Jesus Christus! Als Du auf Deinem Kreuzweg zum dritten Mal gestürzt bist, haben Menschen Dir doch wieder auf die Beine geholfen. Unbekannt ist es, warum? Aus Mitleid, aus echter Demut, aus eindeutigem Mut, Dir zu dienen?   Oder aus Gleichgültigkeit? Oder aus Gehässigkeit, damit es mit Deinem Kreuzweg endlich weiter geht? - Hilf uns mit Deinem Heiligen Geist mit echter Demut, dass wir denen immer wieder auf die Beine helfen, die immer wieder fallen, immer wieder Fehler machen oder etwas Falsches. So bitten wir Dich, Jesus Christus, unsern Herrn und Gott. Amen.

Zehnte Station: Jesus wird seiner Kleider beraubt

Es ist Folterung, wenn man einen Menschen, auch einen Gefangenen, in aller Öffentlichkeit völlig entblößt, wenn man ihn total auszieht, wenn man ihn dem gemein neugierigen Anglotzen der Menge aussetzt. Das ist Raub der Menschenwürde. – Was mögen wohl die vier Männer auf dem Bild denken, sagen? Vielleicht will der linke Mann, ein farbiger Afrikaner, also kein Israelit, Jesus helfen und gibt ihm etwas zu trinken, was betäubt, damit er den vollen Schmerz und die ganze Traurigkeit nicht so mit bekommt. Vielleicht kann er nicht anders helfen, nicht anders trösten. – Die beiden älteren Herrn mit ihrer ordentlichen Frisur und mit ihren vornehm kostbaren Käppchen gehören vielleicht zum Hohen Rat der Juden und sie scheinen sich etwas zu zu flüstern: „Na, wie der sich gleich vorkommt. Gleich, wenn alle dieses arme Häuflein Elend von oben bis unten, von vorn und von hinten und durch und durch angucken können! Der will ein König sein?“ – Und der Soldat? Er muss die Entkleidung vornehmen. Seine Hände scheinen nicht grob hin zu fassen. Er will Jesus genau anschauen. Dabei bleibt offen, was er denkt, der Soldat. Er sagt nichts. Er erfüllt nur seinen Auftrag. – Mit wem von diesen Vieren würde unsereins sich vergleichen können? Würde man, wie der linke Mann, nur oberflächlich trösten wollen durch Verharmlosen der Ungerechtigkeit der Bloßstellung in aller Öffentlichkeit? Fast eine Abart von Gleichgültigkeit. – Würde man, wie die beiden Alten, durch gehässiges Getuschel, Mobbing heißt das heutzutage, das Menschenunwürdige der körperlichen oder seelischen Entblößung noch verstärken? - Oder würde man wie vielleicht der Soldat auch Menschen Verletzendes auftragsgemäß einfach tun?

Wir wollen beten! Herr Jesus Christus! Hilf uns mit Deinem Heiligen Geist, dass wir Menschen unwürdiges Tun (etwa die absichtliche, gemeine Bloßstellung eines Menschen in aller dazu noch unkritischen Öffentlichkeit) verurteilen und dagegen angehen, dass wir bei gehässigem Gerede über andere deutlich nicht mitmachen, dass wir nicht schuldig werden durch bedenkenlose, gleichgültige Auftragserledigung! So bitten wir Dich, Jesus Christus, unsern Herrn und Gott. Amen.

 

Elfte Station: Jesus wird an das Kreuz genagelt

Die Unterschrift beim Bild ist viel zu harmlos: „geheftet“ steht da. Dabei werden bei der Kreuzigung die 4 handgeschmiedeten sicher 20 cm langen und schon öfters gebrauchten Nägel mit großem Kopf benutzt. Die Hämmer sind nicht klein und zierlich. Die Schläge müssen schnell und genau treffen. – Zwei Henkersknechte sind auf dem Bild zu sehen. Der linke scheint sein blutiges Handwerk mit lautem Anschreien noch zu verstärken. Oder will er sich damit rechtfertigen? Oder betäuben? Der rechte scheint wortlos, weit ausholend und mit eisigem oder stillem Hinschauen auf den mit fester Hand gehaltenen Nagel zu schlagen. Ob er die verkrampfte Hand Jesu fühlt?

Wir wollen beten! Herr Jesus Christus! Hier sieht Dein Gekreuzigtwerden so aus, als wolltest Du uns zeigen: Zum Dienen in Deinem Sinn gehört – sicher ab und zu – das Ertragenmüssen dessen, was andere nicht verstehen, - vielleicht auch man selber nicht. Hilf uns mit Deinem Heiligen Geist, dass wir Dir und unserem Nächsten auch dann dienen, wenn wir keine allgemein verständlichen Gründe dafür bereit liegen haben. So bitten wir Dich, Jesus Christus, unsern Herrn und Gott. Amen.

 

Zwölfte Station: Jesus stirbt am Kreuz

Drei Stunden hat das Sterben Jesu am Kreuz gedauert. Der Gekreuzigte versucht immer wieder, sich hoch zu ziehen, Luft zum Durchatmen zu bekommen. So kann er sich aber nur Sekunden lang halten. Dann sackt er wieder durch, nach unten. Wieder bekommt er keine Luft. Einmal zerreißt die Lunge. Und Jesus: „Es ist vollbracht.“ – Jesus starb umsonst. Nicht vergeblich. Sondern gratis. Ohne etwas dafür haben zu wollen. Totales Dienen bis in diesen Tod hinein hat Jesus vorgelebt. – Maria, seine Mutter, kann nur hinschauen, schweigen. Auch ihre Hände verkrampfen sich, wie die ihres Sohnes. Johannes, der Jünger und Freund, kann überhaupt nichts sagen. Ratlos fasst er sich an die Stirn. In diesem Augenblick scheint er nichts zu verstehen. Oder er hat Mitleid. Seine rechte Hand stützt Maria. Oder hält er sich an ihr fest? Jedenfalls: diese Beiden haben Jesus bei seinem Sterben begleitet.

Wir wollen beten! Herr Jesus Christus! Dein Sterben am Kreuz gebietet uns, unseren Mund zu halten, zu schweigen. Alles erklären wollen, alles besser wissen wollen, gehört nicht in diesen Augenblick. Dabei sein ist alles. Hilf uns mit Deinem Heiligen Geist, dass wir in entscheidenden Lebenssituationen auch schweigen können, und dass es für uns eine Selbstverständlichkeit ist, Sterbende mit unserem Dabeisein bis zu ihrem Tod zu begleiten. Darum bitten wir Dich, Jesus Christus, unsern Herrn und Gott. Amen.

Dreizehnte Station: Jesus wird vom Kreuz abgenommen und in den Schoß seiner Mutter gelegt

Ob Maria wohl den Freunden ein Zeichen gegeben hat, wohin sie den toten Jesus zuerst einmal legen sollen? Maria wird es gewusst haben und die Freunde auch: nicht in ihre Arme, nicht auf ihren Schoß, sondern in ihren Schoß – heißt es in der Jahrhunderte langen Überlieferung. Ein wunderbares Denken, Mitgefühl, Aussprechen: in ihren Schoß. Hier hat sie ihren Sohn geboren. Hierhin ist er zurück gekehrt. Jesus, durch und durch Mensch. Maria, Mutter, Mutter Gottes. Die Freunde bleiben wie ein beschützender, umarmender Ring um Mutter und Sohn stehen. Die Beiden sollen in aller Ruhe mit einander Abschied nehmen. Schweigen.

Wir wollen beten! Herr Jesus Christus! Durch Dein Sterben und durch die Treue Deiner Mutter Maria und Deiner Freunde haben wir erfahren, wie Trauer-Begleitung, Sterbe-Begleitung gelebt wird: dicht dabei sein, einen Schutzraum bilden vor störenden Zwischenfällen, Schweigen. Schenk uns dann mit Deinem Heiligen Geist das Not wendende Wort, die Geduld zum Schweigen. So bitten wir Dich, Jesus Christus, unseren Herrn und Gott. Amen.

Vierzehnte Station: Jesus wird ins Grab gelegt

Damals gab es in Israel nur diese Weise der Bestattung. Heute gibt es wegen der Bräuche anderer Länder verschiedene Möglichkeiten. Auferweckung aller Verstorbenen ist für Gott immer möglich. Gott ist Gott. Für uns Menschen ist lediglich wichtig eine menschenwürdige Bestattung. Das haben uns Maria und Jesu Freunde vorgemacht. Alle sind gemeinsam dabei, fassen gemeinsam mit an, früher so, heute anders. Langsam, mit Bedacht, in aller Ruhe, weil Schweigen oft mehr sagt als Gerede, - alles jedenfalls ohne Zank und Streit.

Wir wollen beten! Herr Jesus Christus! Weil Du für uns durch und durch Gott und zugleich durch und durch Mensch bist, hast Du uns mit Deiner Bestattung wahrnehmen lassen, was heilige Zeit ist. Eine Zeit, die wir mit gestalten und die wir zugleich offen halten einzig und allein für Dein Handeln, für Gottesdienst. Für unseren Dienst Dir gegenüber und für Dein Dienen uns gegenüber. Um solche heilige Zeit bitten wir Dich, Jesus Christus, unsern Herrn. Amen.

 

Abschluss-Gebet wieder vor dem Altar

Hier am Altar erleben wir immer wieder die einzigartige heilige Zeit, direkten, ausdrücklichen Gottesdienst: Eucharistiefeier.

In ihrem Wort-Gottes-Dienst werden wir von Gott bedient mit seinem lebensentscheidenden Wort: Gottesliebe und Nächstenliebe. Zugleich. Demut, Statusverzicht. Und wir dienen Gott, indem wir sein Wort in unserem Leben wahrnehmen und wahr machen. – In der Eucharistiefeier werden wir von Gott bedient mit seiner Vergegenwärtigung seines Kreuzesopfers, noch erhöht, gesteigert mit der Heiligen Kommunion des Auferstandenen. Und wir dienen Gott, indem wir seine Kommunion mit uns dankbar aufnehmen.

Wir wollen beten! Herr Jesus Christus! Wir danken Dir für Deinen Kreuzweg, für Dein Kreuzesopfer! Damit hast Du uns frei gemacht, erlöst, dass wir Menschen wieder wissen, was Menschsein heißt: dienen, Dir, Gott und unserem Nächsten. An Deinem Beispiel haben wir erfahren, dass Du für uns der Weg bist, die Wahrheit und das Leben. Dabei bitten wir immer um Deine Hilfe, Dich, Jesus Christus, unsern Herrn und Gott. Amen.

                                                                                                  Heinrich Pasternak, August 2003

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