Predigt Weihnachten 2020

Da kurzfristig die heilige Messe am Heiligabend in Freienohl abgesagt wurde, hat uns Herr Hammerschmidt sine Predigt für die Heiligabendmesse 2020 zur Verfügung gestellt:

Weihnachtspredigt 2020

Ein Satz meines geistlichen Begleiters in Paderborn ans Anfang des Advents begleitet mich seitdem. Ein anderer Name für Gott ist Interesse. „Inter — esse — dabei sein — dazwischen sein"

Da steht im Hintergrund der Name Jahwe „Ich bin da" und die Geschichte vom brennenden Dornbusch, die am Fuß des Altares in Freienohl angedeutet wird.

Aber haben wir nicht oft ein anderes Gefühl?

Seit Jahren wirbt eine Bank mit dem Slogan: Unterm Strich zähle ich, und damit den Egotrip als Lebenshaltung definiert. Oder wie ich täglich in der Werbung höre: wenn du das... isst, ist Weihnachten, feiere dich, du bist Weihnachten.

Ist Weihnachten nicht mehr als Konsum oder ein Familienfest? Seit wann ist Weihnachten ein Fest ungetrübter Harmonie? Und was ist mit den Alten, Einsamen und Abgehängten? Die Tafeln und andere Initiativen der alltäglichen Nächstenliebe leisten mehr als Versorgung mit Lebensmitteln, es sind Bollwerke gegen die Verlorenheit.

„Dabei bräuchten wir gerade in Corona-Zeiten so sehr den göttlichen Beistand, spirituelle Energien um gegen die trübe Corona-Stimmung anzukommen. Man merkt, wie bei vielen die Nerven blank liegen, der Ton gereizt ist, das Alleinsein den Menschen zusetzt. Der verlängerte Teil-Lockdown zehrt an den Kräften, und manches spricht dafür, dass sich das noch bis weit ins nächste Jahr hinzieht. Mir scheint, dass wir erst in dieser Extremsituation merken, was uns fehlt. Wir leben von Beziehungen, von zwischenmenschlichen Kontakten: dem persönlichen Gespräch, einer liebevollen Umarmung.

Bei Mitch Albom lese ich von seinem Besuch bei seinem Professor Morrie, der an fortschreitender Muskellähmung leidet, das qualvolle Sterben vor Augen. Seine Lebensweisheit: „Am Anfang des Lebens wenn wir kleine Kinder sind brauchen wir andere zum Überleben, nicht wahr? Und am Ende des Lebens wenn du so wirst wie ich, brauchst du andere zum Überleben, nicht wahr?" Seine Stimme sank zu einem Flüsterton. „Aber das Geheimnis ist: Dazwischen brauchen wir die anderen ebenfalls." (aus; Dienstags bei Morrie)

Mir scheint, dass wir in den Monaten der Pandemie diese Lektion neu lernen: dass die Erfahrung eigener existenzieller Bedürftigkeit uns auch sensibler macht für die Bedürftigkeit des anderen; und dass wir die Spielräume, die wir haben, nutzen können, um dem anderen das Gefühl des persönlichen An-Denkens zu geben, des Trostes, des Verstehens, ob per Telefon, Email, WhatsApp... - oder das wir ganz klassisch wieder einmal einen handgeschriebenen Brief verschicken." Zitiert nach Dr. Peter Klasvogt Anno Domini 2020.

Ich kann auch Menschen verstehen, denen Glaube schwerfällt, weil ihnen ein Schicksal (Tod, Krankheit) zugemutet wird, dass sie die Frage „Gott wo bist du"? schreien, dass sie wie große Mystiker die Nacht des Glaubens erleben, der Glaube sich verflüchtig, die Hoffnung lahmt, die Liebe schwächelt.

Mir hilft das schöne Wort: „Gott entgegen zweifeln"; die Namensliste der Kranken, an die ich bei jeder Messe denke, wird immer länger, ebenso die Totenliste, derer ich täglich gedenke.

Aber es stimmt auch: Weihnachten ist nicht Belohnung für Seuchen angemessenes Verhalten. Weihnachten liegt uns voraus, so wie die Jahreszeiten uns voraus liegen. Ein Fest ist ein Erinnerungsort, der zur Gegenwart wird, weil Menschen sich die Erzählung dazu aneignen und seine Botschaft mit ihrem Leben verbinden, Weihnachten ist kein menschliches Produkt, sondern ein Geschenk des Himmels, wie es in meiner Predigt am 4. Advent hieß, „sich schenken lassen".

Die dramatische Zahl der Toten und die Notwendigkeit eines Stillstandes ändern ja nicht das Ungleichgewicht der Gefühle: das die einen sterben, die anderen ihre Existenzgrundlage verlieren, andere aber ihr normales Auskommen haben, aber seelisch am Limit sind, und noch andere tapfer alle Risiken bei der Betreuung ihrer Corona-Patienten tragen.

Wie kann es trotzdem Weihnachten werden? Ein Pater aus Assisi rät zum Blick in die Krippe: dass Gott, der Weltenherrscher die wehrlose Gestalt eines Säuglings annimmt, lehrt uns Demut. Und es rührt an unsere tiefen Wünsche nach Geborgenheit, Angenommensein und Liebe. Gott wird in der Nacht geboren, die Nacht ist nicht der Freund des Menschen, aber eine Nacht ist so sehr ein Freund des Menschen, dass wir sie die Heilige Nacht nennen.

Christlich gesehen kann Weihnachten in Not eigentlich kein Problem sein. Dass Gott in der Kälte und Dunkelheit geboren wird, lässt das Licht umso heller strahlen. Gottes Interesse an uns Menschen zeigt sich, dass Gott sich jedem zuwendet, statt sich abzuwenden. Leid, Einsamkeit, Schuld ist vor den Augen Gottes etwas anderes, als im Urteil der Welt.

Gott macht einer Welt, in der Unrecht, Gewalt, Zerstörung, Ausbeutung und Not normal sind, einen Strich durch Rechnung. Er fängt damit klein und unscheinbar an, auch in uns. Aber ohne diesen Anfang gibt es keine Rettung für die Welt. Mit diesem Anfang kann Freude sich ausbreiten. Wenn Weihnachten ein Fest der von Gott geschenkten Erlösung ist, dann passt es in diese Zeit so gut wie lange nicht mehr.

Wir sind Teil einer Dynamik, die wir nicht mehr beherrschen. Weihnachten ist ein Gegenentwurf: das Innehalten, das Warten und Hoffen, das Ankommen die Heilsbotschaft. Diese Rituale brauchen wir dieses Jahr mehr denn je.

Und dass es auch in der Pandemie Menschen gibt, die diesen Glauben ausstrahlen und Halt geben.

Möge Weihnachten uns wirklich die Hoffnung schenken, die in so vielen schönen Liedern besungen wird.

Möge die Botschaft, dass Gott an uns Interesse hat, uns helfen, im Sinne eines Gedichtes:
„Ein Stern
Ein Mensch
Ein Weg
Ein Licht Ganz hell in unser Dunkel bricht". W. Wilms

Predigt: Michael Hammerschmidt - Weihnachten 2020

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